Der Co-Working-Space Impact Hub Munich vereint engagierte Start-ups, kreative Selbstständige und visionäre Organisationen. Wie konnte mitten in einer Stadt, die bei Gründern für ihre Mietpreise verschrien ist, ein Mekka für alternative Unternehmer entstehen?
Reges Schnipseln, laute Gespräche: „Wirf mir bitte mal die Gurke rüber“, ruft es von nebenan. Was anmutet wie eine riesige Küchenparty nennt sich „Sexy Salad“. Alle zwei Wochen treffen sich hier Menschen zum gemeinsamen Salate zaubern, austauschen, essen – und vor allem an einer neuen Welt basteln. Über 150 Mitglieder nutzen den Impact Hub Munich als Brutstätte für ihre nachhaltige Geschäftsidee. Vom Erneuerbare Energien Anbieter Polarstern über das Sozialunternehmen Flechtwerk bis zur 4-Tage-Woche-Agentur IXDS. Und ab zu und zu unterbrechen sie ihre Arbeit, um ihr Netzwerk bei Mittags-Salat oder gemütlichem Abend näher kennenzulernen.
„Eeechooo!“, tönte es: 2012 stand man hier noch in einer leeren Lagerhalle, Decke und Wände nackt und kahl. Mit viel Fantasie und Visionskraft begeisterten die Impact Hub Gründer Joscha Lautner und Johann Schorr zukünftige Mitglieder, Förderer und Partner von der Idee, hier einen Raum für Social Entrepreneurship zu schaffen. Denn München bot zwar viele Initiativen, Netzwerke und Förderungen. Aber keinen physischen Ort, der sich in aller Vielfalt dem gemeinwohlorientierten Wirtschaften widmete.
Mit einem Raum fängt alles an
„Uns fehlte ein Schirm für Sozialunternehmertum, Nachbarschaftsinitiativen, Wohngenossenschaften und soziale Finanzierungen“, erinnert sich Joscha Lautner an die Anfangstage. „Für all jene, die die Welt anders denken und gestalten wollen“. Denn die Arbeit in vielen Institutionen und Großkonzernen entspricht heute nicht dem, was die Welt morgen braucht, beobachteten die Gründer.
„Mit einem Raum fängt alles an“, so Joscha Lautner. „Aber Leben hauchen ihm erst die Menschen ein. Für sie wollen wir gute Rahmenbedingungen schaffen“. So lautet denn auch die Kernvision des Munich Impact Hub: Enabling people to do good. Und weil gesellschaftliche Veränderungen nicht aus der Isolation heraus funktionieren können, schlossen sich die Gründer dem internationalen Impact Hub-Netzwerk an, das seit knapp zehn Jahren Social Entrepreneurship fördert.
Zielgruppen? Väter, Omas, Stromkunden…
„Mir ist sofort aufgefallen, welche Offenheit die Menschen hier ausstrahlen“, berichtet Fabian Seger, der im Impact Hub seit kurzem die Organisation von inhaltlichen Impulsen unterstützt. „Sie wollen etwas beitragen, einander vorwärts bringen“. Fabian will andere Formen von Wirtschaft kennenlernen. Hier findet er solche Projekte und kann hinter die Kulissen schauen.
Bereits heute feiern die Start-ups, die sich in den offenen oder verglasten Arbeitsräumen des Brutkastens eingenistet haben, ihre ersten Erfolge. Die Gründerinnen von Kuchentratsch starteten vor zwei Jahren mit ihrer Idee, Leckereien nach Großmutters Rezepten zu verkaufen. Jetzt haben sie ihre erste eigene Backstube gemeinsam mit Omas eröffnet. Das Sozialunternehmen Flechtwerk2+1 unterstützt Kinder mit zwei Elternhäusern durch Besuchsprogramme. Was bei den Mamas und Papas sehr gut ankommt, erfährt nun auch offiziell Anerkennung: Das Projekt wurde gerade in den renommierten Kreis der Ashoka-Fellows aufgenommen. Chris, der mit seinem Unternehmen Samstagrad Kult-Fahrräder aus den 1940er bis 70er Jahren liebevoll restauriert, hat über den Impact Hub neue Geschäftspartner gefunden. Durch die Beratung der anderen Member konnte er einen großen Wachstumsschritt machen und engagierte Unterstützer gewinnen. Eine BR-Dokumentation zeigt spannende Beispiele aus dem Impact Hub und anderen Sharing Economy Projekten.
Die stärkste Säule des Hauses: Die Community
Welche Struktur ist geeignet für einen solchen Arbeits- und Begegnungsort? Die Gründer zerbrachen sich den Kopf. Nach intensiven konzeptionellen Überlegungen spiegelt der Impact Hub nun auch im institutionellen Aufbau den Spirit der gemeinwohlorientierten Wirtschaft: Offiziell eine GmbH, ähnelt das Konstrukt eher einer Genossenschaft, denn die Anteile sind neutralisiert, Gewinne werden nicht ausgeschüttet und bei Verkauf erhält jeder Anteilseigner nur den Nominalwert zurück. Die Gründer sehen sich mehr als Geschäftsführer denn als Gesellschafter und haben daher nicht das in der Start-up-Szene übliche Exit-Interesse. Auch gibt es keine anonymen Investoren oder Subventionen: Man kennt sich und baut gemeinsam an der Zukunft und am Raum mit. Zusammen mit acht Münchner Unternehmen führt der Impact Hub außerdem eine Gemeinwohlbilanz, um die Wirkung des eigenen Wirtschaftens zu messen und weiter ökologisch und sozial ausrichten zu können.
Ein Tatort für Austausch und Projekte
Die Mitglieder können im Impact Hub frei arbeiten, Gruppen-Räume für Team- und Kunden-Meetings nutzen und ruhige Gespräche in isolierten Telefonzellen führen. Eine Infrastruktur, wie man sie aus vielen Co-Working-Büros kennt. „Spannend wird’s doch bei der Frage, warum die Leute bleiben“, meint Lautner. Es seien vor allem das Gemeinschaftsgefühl und das Netzwerk, die den Reiz dieses „Tatorts“ ausmachen: „Viele der Menschen hier verdanken einen Teil ihres wirtschaftlichen Erfolgs der Hub-Community“. Mustergültig für die Sharing Economy finden sie hier alles vor und bringen sich selbst ein, von fachlichem Know-how über Beratungen bis hin zu einem Team-Gefühl für Selbstständige, die hier nicht die übliche Isoliertheit sondern eine willkommene Atmosphäre erfahren.
Mitdenken bringt Mitmacher
Das Geheimnis: Die Kultur des „Everyone a host“. Jeder denkt für den anderen mit, stellt Verbindungen her. Nicht selten finden sich im Impact Hub neue Projektpartner. Ein Mitglied erzählt begeistert, er könne nun Projekte durchführen, die allein nicht zu stemmen wären. Daher konnte er sein Geschäftsmodell ganz anders ausrichten. Vor zwei Jahren lernten sich hier die „Sichtbarmacher“ kennen, die das Hub mit dem Format „Startrampe“ förderte. Ein anderes Team fand sich hier, das sich jetzt für die Entwicklung einer Willkommenskultur für Flüchtlinge engagiert. Die Gründerinnen von Kuchentratsch haben hier eine Unterstützerin für ihre Crowdfunding-Kampagne gefunden.
Lebendig wird das Netzwerk durch Vielfalt – vom eigenbrötlerischen IT-Experten bis zum austauschfreudigen Verkaufsteam. Bei den etwa 20 Veranstaltungen pro Monat bringen die Member ihre eigenen Gestaltungsideen für Formate und Inhalte ein. Und Events wie die Impact Hub Edition des Alpensalon auf einer Almhütte im Februar 2015 beziehen alle Interessierten Member in strategische und Detailfragen ein: Wie werden wir als Community nach außen besser sichtbar? Wie wertschätzen wir Leistungen und Gefallen innerhalb der Gemeinschaft? Wie statten wir die Minibar aus?
Old Economy meets Social Business
Immer wieder wollen etablierte Unternehmen sich von diesem Ort des sozialen Aufbruchs inspirieren lassen. „Wenn Firmen unsere Räume buchen, pflanzen wir Impulse“, schmunzelt Joscha Lautner. „Sie kommen ja nicht einfach nur, um einen Seminarraum zu besetzen, sondern können konkreten Impact bewirken“. Das Impact Hub bringt sie mit Mitgliedern zusammen, lässt sie in die Start-up-Welt schnuppern, ihren Innovations- und Teamgeist stärken und ein Gefühl dafür bekommen, welchen Mehrwert sie selbst in den sozialen Sektor einbringen können.
Organisch wachsen: Raum braucht Zeit
Wie konnte der Impact Hub in so kurzer Zeit so erfolgreich werden? „Unser Team ist geil“, grinst Joscha Lautner nicht ohne Stolz. Doch vor allem habe man sich viel Zeit gelassen, den Raum zu planen und zu gestalten. „Wir haben auf eine starke Vision und organisches Wachstum gesetzt. So haben sich die großen Entscheidungen Schritt für Schritt aus dem Bauchgefühl in die Umsetzung bewegt. Und das fühlt sich gut an“, so Lautner. Gerade im Social-Bereich schaufele man sich schneller das eigene Grab, wenn man auf steiles Wachstum in Form der Kurve eines Hockey-Schlägers setzt, als im konventionellen Sektor. Sozial orientierte Teams sollten sich daher aus der Erfahrung der Impact Hub-Gründer genügend Zeit nehmen, um ein gemeinsames Wertefundament und eine Vision zu finden. Sich viel Gedanken machen über die Organisationform und die Finanzierung. Denn: „Das drückt die Seele einer Organisation nach außen aus und prägt die zukünftige Dynamik. Wenn beispielsweise ein Investor einsteigen möchte, würde ich erst überlegen: Passt das zu uns und wollen wir überhaupt Investoren oder passt zu uns eher Crowdfunding?“
Künftig wollen die Gründer ihre Community noch mehr stärken, damit sie auch von ihnen unabhängig funktionieren kann. Das gesellige Salate-Schnipseln klappt schon heute in Selbstorganisation. Und nach nur zweieinhalb Jahren ist der Impact Hub auf gutem Wege, ein Epizentrum für gelebte Modelle gemeinwohlorientierten Wirtschaftens zu sein. Neudenker und Vormacher willkommen.
Der Impact Hub München in Zahlen
Gründung des Impact HUB München (GmbH): 10.12.2012
Gründer: Johann Schorr und Joscha Lautner
Baubeginn: Erste Phase Jan/Feb 2013, zweite große Phase Jan/Mrz 2014
Fertigstellung: Eröffnung 07.03.2014
Mitglieder insgesamt: über 150 (Zielgröße 250-300)
Mitglieder (connect): ca. 45%
Mitglieder (professional): ca. 55%
Mitgliedsgebühr: 25 („Connect“) bis 400€ (Vollzeit-Arbeitsplatz) monatlich
Fläche insgesamt: 855 m²
Fläche Workspace: ca. 550 m²
Finanzierung: Eigenkapital 45.000€, Bankdarlehen von der GLS Bank, Nachrangdarlehen mit qualifiziertem Rangrücktritt, Genussrechte; 50% Eigenkapitalquote; Gesamtfinanzierungsvolumen bis Kostendeckung 420.000€
Startkapital / Grundinvestition: 55.000€
Umsatz / Gewinn 2014: Umsatz über 300.000€
Gewinnverwendung: Interne Investition: Weiterer Ausbau, Teamaufbau, Aufbau Förderprogramme; keinerlei Ausschüttungen
Impact Hubs im Netzwerk weltweit: über 70
Impact Hubs im deutschsprachigen Raum: Berlin, Zürich, Genf, Wien
Ein Kommentar
Danke, Tina Teucher, für diesen sensibel recherchierten und umfangreichen aber dennoch übersichtlichen Beitrag! Mit ihm können sich, glaube ich, auch Leute ein sehr gutes Bild machen, die bislang noch nichts vom Hub gehört haben bzw. noch nicht nachvollziehen konnten konnten, worum es im Hub geht. Sagt ein Member im Hub.