Kissen, Pullover und Mützen aus Hundehaaren – klingt ungewöhnlich? Hat aber tatsächlich lange Tradition. Heute fertigt das Berliner Modelabel Chiengora daraus nachhaltige Kleidung.
Die vergessene Ressource: Haustierwolle
Chiengora ist die ausgekämmte Unterwolle von langhaarigen Hunderassen, die ganz natürlich bei der Fellpflege anfällt. Chiengora setzt sich aus dem französischen Begriff Chien für Hund sowie Gora für Angora, einer sehr weichen Wolle, zusammen. Aus dieser ausgekämmten Unterwolle wird ein Garn gesponnen, das ganz ähnlich wie Schafswolle verwendet werden kann. Diese Nutzung hat bereits lange Tradition. Historische Funde – beispielsweise aus Nordamerika oder Skandinavien – weisen darauf hin, dass Wolfsfell damals als Material zum Spinnen genutzt wurde. Auch in England und Österreich wurde Anfang des letzten Jahrhunderts noch Kleidung aus Hundefell hergestellt. Ob Mischling, Australian Shepherd, Samojede oder Collie – ab einer gewissen Länge ist jede ausgekämmte Unterwolle geeignet.
Und dabei gibt es ziemlich viel von diesem Rohstoff: Jährlich sollen allein in Europa zwischen 500 und 1.000 Tausend Tonnen Hundeunterwolle im Müll landen. Um diesen und ähnliche Rohstoffe, die als Garn weiterverarbeitet werden können, vor der Verschwendung retten, haben die Modedesignerin Ann Cathrin Schönrock und Textilingenieurin Franziska Uhl das Modelabel YarnSustain gegründet.
Rohstoffe retten – Wolle aus Hundehaaren
Gestartet hatte Schönrock 2017 mit der Wolle ihrer eigenen Hündin und mit Spenden aus Hundesalons. In Kooperation mit kleineren, deutschen Spinnereien fertigte sie die ersten Handstrickgarne an. Durch den Aufbau des Crowdsourcingnetzwerks „Modus Intarsia“ erweiterte Schönrock ihre Bezugsquellen für die ausgekämmte Hundeunterwolle. 2018 wurden dann die ersten Handstrick-Garne in Berliner Strickfachgeschäften verkauft.
Das Netzwerk und die Nachfrage nach den Hundegarn wuchsen stetig – was Schönrock 2019 als Anlass nahm, die Textilingenieurin Franziska Uhl zu fragen, ob sie gemeinsam einen industriellen Strickprozess entwickeln wollen. Uhl stieg in das Prokjekt mit ein. Und so machten sich die beiden an die Entwicklung eines Industriegarns aus Hundwolle. Mit der Unterstützung des EXIST-Gründerstipendium gründeten sie 2021 die YarnSustain Schönrock Uhl GmbH aus und fertigten erste Produkte an. Über eine Crowdfunding-Kampagne, bei der sie über 26.000 Euro einnahmen, finanzierten sie 2021 die Produktion von weiteren Artikeln. Ein anschließendes Risikoinvestment durch das nachhaltige Label Wildling Shoes GmbH untestützte das junge Modeunternehmen zusätzlich.
Textilrevolution Chiengora
Und seitdem geht es steil bergauf: Chiengora gewann in den nächsten Jahren mehrere Preise und Fölrderungsprogramme. Auch ihr Sammler:innennetzwerk aus Hundebesitzer:innen, Züchter:innen und Hundefriseur:innen wächst stetig. Vor Kurzem haben Schönrock und Uhl zudem den Non-Profit-Verein „Rohstoffe Retten – modus intarsia e.V.“ (i.G.) gegründet, um die Beschaffung der Haustierwolle gemeinnützig zu gestalten. Mit der Wollspende wird man Vereinsmitglied und erhält Vorteile bei verschiedenen Vereinspartner:innen, wie Fressnapf-Filialen, und erhält Rabatt auf Garne und Chiengora-Produkte. Ab 500 Gramm ist die Wollspende aus Deutschland, Österreich und der Schweiz kostenlos. Der Gewinn aus dem Verkauf der Rohstoffe fließt zu 100 Prozent in Tierschutzprojekte, die von den Rohstoffspender:innen selbst ausgewählt werden können. Der Verein soll jedoch nicht nur zu Rohstoffbeschaffung dienen, sondern soll auch Menschen mit dem gleichen Ziel zusammenbringen: Ressourcenschonung und Tierliebe.
Nischenprodukt statt Fast Fashion
Um auch in der Produktion nachhaltig zu bleiben, sind unter anderem kurze Transportwege wichtig. So wird das Garn in Italien und Frankreich produziert, alle anderen Herstellungsschritte erfolgen in Deutschland. Während der Ansatz Garn aus Hundwolle zu gewinnen, nicht neu ist, ist es revolutionär, den Rohstoff in industriellen Mengen als Ressource anzubieten. Es ist eine systematische Innovation im Textilbereich. Dabei sagt Schönrock selbst, dass ihre Podukte ein Nischenprodukt sind und immer sein werden. Zumindest hoffe sie, dass ihre Produkte nie massentauglich im Sinne von Fast Fashion werden.