17.07.2017 – Wenn Essen in den Abfall wandert, weil es verdorben ist oder einfach übrig blieb, meldet sich bei vielen von uns das schlechte Gewissen. Wir leben im Überfluss und entsorgen unnötig viele Lebensmittel und dennoch wird immer wieder von Hungerkatastrophen berichtet. Aber hat das eine wirklich etwas mit dem anderen zu tun?
In einer Publikation des WWF heißt es, dass von den über 7 Milliarden Menschen, die auf der Erde leben, rund eine Milliarde täglich Hunger erleidet. Fakt ist, wir haben genug Lebensmittel für 12 Milliarden Menschen, nur ist die Verteilung nicht gerecht. Die Ursachen sind zwar sehr komplex und zahlreich, aber verfolgt man die Wirkungsmechanismen, so zeigt sich, dass unser Konsum und unsere Wegwerfmentalität, die beim Thema Lebensmittel keinen Halt machen, das Problem noch verschlimmern. Der Dokumentarfilm „Taste The Waste“ von Valentin Thurn macht dies auch sehr deutlich.
Das Ausmaß der Verschwendung
„Die Verluste an lebensmitteltauglichen Produkten entlang der gesamten Wertschöpfungskette, also vom Feld bis zum Teller, sind enorm“, so heißt es in der WWF-Untersuchung. Von den über 18 Millionen Tonnen Nahrungsmitteln (Stand 2015), die allein in Deutschland im Abfall landen, wären über 10 Millionen vermeidbar. Das fängt bei nicht normgerechten Obst- und Gemüseformen an, die Landwirte nicht verkaufen können. Es geht weiter in Supermärkten, wo kurz vor dem Ablauf des Mindesthaltbarkeitsdatums Produkte im großen Stil entsorgt werden müssen, bis hin zu falsch kalkulierten Mengen in Restaurant- und Großküchen und unachtsamen Verbrauchern, die Lebensmittel falsch lagern. Die Liste ist lang.
Genau hier könnte eine funktionierende Kreislaufwirtschaft die Situation verbessern, indem man Abfall gar nicht erst entstehen lässt und nachhaltiger wirtschaftet. Am Ende profitieren viel mehr Menschen davon als wir denken.
Um die Idee einer Circular Economy konsequent umzusetzen, brauchen wir neue Geschäftsmodelle. Allein die Lebensmittelbranche hat riesiges Potential, Abfallmengen zu reduzieren. Dies haben mittlerweile auch eine Reihe von Start-ups entdeckt und neue digitale Lösungen zur Eindämmung der Verschwendung von Lebensmitteln entwickelt. Mit innovativen digitalen Konzepten und Apps tragen sie den Gedanken der Kreislaufwirtschaft einen großen Schritt weiter.
Apps gegen Lebensmittelverschwendung
Containern – andere nennen es auch Dumpstern oder Mülltauchen – setzt ein Zeichen gegen die maßlose Lebensmittelverschwendung. Privatleute holen beim Containern das noch Genießbare aus den Mülltonnen von Supermärkten für ihren eigenen Bedarf. Solche Methoden machen auf ein Problem aufmerksam, aber sind keine Lösung für das eigentliche Problem und sind in Deutschland sogar illegal.
Auch der Gründer von FoodLoop, Christoph Müller-Dechent, hat sich vorgenommen, die tägliche Lebensmittelverschwendung in Supermärkten zu reduzieren – er geht einen anderen Weg. Mit seinem 2014 gegründeten Start-up hat er eine App entwickelt, die Produkte kurz vor dem Ablauf des Haltbarkeitsdatums im Handel günstiger anbietet und die für den Verbraucher leicht zu finden sind. Dazu koppelt FoodLoop das Warenwirtschaftssystem der Märkte mit einem Tool für Verbraucher. Diese einfache Idee hat eine große Wirkung, denn am Ende landen nicht nur viel weniger Lebensmittel im Abfall. Auch Produktion, Logistik oder Lagerung der Waren in der Lebensmittelindustrie sind aufwendig. Alles, was am Ende der Kette nicht auf dem Teller, sondern in der Tonne landet, ist gleichzeitig auch eine Verschwendung von Landnutzung, Wasser-, Energieverbrauch und Arbeitskraft. Die internationale Jury des Green Alley Awards war von Müller-Dechents Geschäftsidee begeistert und kürte ihn 2014 zum Sieger des europäischen Start-up-Wettbewerbs der Circular Economy.
Auch in der Politik hat ein Umdenken stattgefunden, denn zum Beispiel in Frankreich ist es für Supermärkte seit Anfang 2016 verboten, Lebensmittel in den Abfall zu werfen. Sie müssen sie kostenlos anbieten oder an die Landwirtschaft bzw. an gemeinnützige Organisationen geben. Die meisten anderen Länder sind noch nicht so weit.
Dem Problem der Lebensmittelverschwendung hat sich auch ein weiterer Green Alley Award-Finalist angenommen. Das finnische Start-up ResQ Club hat eine App entwickelt, die Nutzern die Möglichkeit bietet, übrig gebliebene Speisen in Restaurants aus der Umgebung günstig zu erwerben. Über 65.000 Kilogramm Lebensmittel hat das Unternehmen nach eigenen Angaben seit 2016 schon vor dem Wegwerfen bewahrt. Dass dieses Konzept gefragt ist und international Potenzial hat, zeigt auch die Fusion von ResQ Club mit Mealsaver. Letzteres hat bislang ein ähnliches Business-Konzept in Deutschland verfolgt.
Online-Plattform sorgt für weniger Reste in der Baubranche
Das Prinzip von ResQ Club, FoodLoop und ähnlichen Anbietern ist vergleichbar mit den Kleinanzeigen von ebay und lässt sich wunderbar auch auf andere Wirtschaftssektoren übertragen, so zum Beispiel auf die Baubranche – übrigens die Branche, die für den mit Abstand größten Teil des Abfallaufkommens hierzulande verantwortlich ist. Über 52 Prozent der Abfälle in Deutschland entstehen allein durch Bau und Abbruch. Auch hierfür hat ein Finalist des Green Alley Awards eine clevere Lösung entwickelt. Über die Verkaufsplattform von restado aus Stuttgart, die es seit 2015 gibt, können übrig gebliebene Baumaterialien digital ver- und gekauft werden. Von Fenstern, Steinen und Beton über Holzfliesen bis hin zu Dämmmaterial ist hier alles zu finden. Bislang landeten Fehlbestellungen oder eine zu große Mindestabnahmemenge bei privaten oder gewerblichen Bauprojekten zu oft im Abfall. Mit restado können auch Kleinstmengen online angeboten und dadurch teilweise sehr umweltschädlicher Abfall tonnenweise vermieden werden.
Mit ihren Ideen ermöglichen ResQ Club, FoodLoop oder restado die Kreislaufwirtschaft in die Praxis umzusetzen. Doch alleine können die Gründer keinen gesellschaftlichen Wandel herbeiführen, der unser bisher lineares Wirtschaftssystem in eine wahre Kreislaufwirtschaft überführt und nachhaltiger macht. Politik, Großkonzerne und Verbraucher müssen mitziehen.
Gute Ideen brauchen Unterstützung
Was all die genannten Start-ups gemeinsam haben, ist, dass sie in den letzten Jahren Finalisten und Preisträger des Green Alley Awards waren, einem europäischen Gründerwettbewerb zur Förderung innovativer Ideen in der Circular Economy. Er wird seit 2014 jährlich von einer internationalen Jury aus Circular Economy Experten und Start-ups vergeben. Aktuell ist der Green Alley Award wieder ausgeschrieben. Auch digitale Pioniere aus ganz Europa sind aufgerufen, sich zu bewerben.
Über den Green Alley Award:
Green Alley fördert mit einem eigenen Award junge Gründer und Start-ups, die mit ihren Ideen zu einer Circular Economy beitragen. Die Bewerbungsfrist für den Green Alley Award endet am 25. Juli 2017. Mehr Informationen unter www.green-alley-award.com