09.05.2018 – Viel zu schnell waren die zwei Tage in der WHU Otto Beisheim School of International Management Anfang April vorbei. Was von der Konferenz bleibt, ist ein voll geschriebener Notizblock, ein von den Eindrücken schwirrender Kopf und verschiedene Versuche, die vielen Impulse und Anregungen der Konferenz für unsere Leserinnen und Leser zusammenzufassen. Hier mein bester Versuch: Die SensAbility und ihre diesjährigen Botschaften für alle, die sich für Social Entrepreneurship begeistern.
„Wir leben in einer Zeit, in der sich alles permanent ändert“, eröffnet Markus Sauerhammer die diesjährige SensAbility. „Das Problem ist, dass wir lernen, Veränderung mit allen Mitteln zu bekämpfen“. Es ist der erste Konferenztag der etablierten Konferenz rund um Social Entrepreneurship, und der Hörsaal ist trotz des warmen Frühlings draußen gut gefüllt. Nicht überraschend, denn der erste Vortragende des Tages ist der frühere Kooperationsleiter von startnext und Mitgründer von SEND. Links und rechts neben mir zustimmendes Nicken, als Markus Sauerhammer erläutert, dass wir noch viel mehr Menschen brauchen, die die Zukunft aktiv gestalten. „Disruption ist cool, ist neu, ist anders. Aber unsere Welt wird zu einem wesentlichen Teil von den Bewahrern geformt. Wir brauchen beide Gruppen für eine wirkliche Veränderung“. Markus führt locker durch das wichtige Thema. Doch zwischendurch wirkt er sehr ernst. Zum Beispiel, als er über seine Tätigkeiten bei SEND spricht. „Aktuell reden wir viel mit Politikern und können positiv in die Politik wirken. Aber unsere Politik braucht insgesamt zu lange für die Veränderungen, die wir dringend benötigen“.
Der Wandel der (wirtschaftlichen) Welt
Später nimmt Matthias Scheffelmeier, seit 2009 bei Ashoka und ebenfalls im Vorstand des SEND, diesen Faden wieder auf. Anhand konkreter Projekte und Unternehmen zeigt er den Wandel, den Social Entrepreneurship in die Welt bringt. Dabei betont er, dass soziales Unternehmertum in seinen Augen lediglich eine Form ist, die gewählt werden kann. Stiftungen, Vereine und andere Non-Profit-Organisationen seien ebenfalls gute Möglichkeiten, Veränderungen anzustoßen. „Wenn man tatsächlich etwas bewegen will, darf man nicht zu sehr auf die eigene Organisation schauen“, erklärt Matthias Scheffelmeier. „Man sollte sich stattdessen fragen: Wen bringt meine Idee weiter, wen inspiriere ich? Mit wem kann ich kooperieren und so auch meine Idee weiterentwickeln?“ Matthias Scheffelmeier spricht damit einen Punkt an, der nach wie vor in der Szene der Social Startups auffällt: Immer noch wirken Social Entrepreneurs und ihre Projekte wie kleine Inseln in einem weiten, auf maximalen Profit ausgerichteten Meer. Die SensAbility ist kein Abbild der Gesellschaft, sondern eine Parallelwelt. Noch. Denn die Szene hat den naiven Idealismus längst verlassen – und das soll jetzt im Außen auch deutlich werden. „Sozialunternehmerinnen und Sozialunternehmer haben einige der größten Unternehmen angestoßen, die heute am Markt sind“, berichtet Matthias Scheffelmeier. Und auch wenn viele dieser StartUps heute keine sozialen oder nachhaltigen Unternehmen mehr sind: Social Entrepreneurship ist ein Motor geworden. Für gesellschaftliche Veränderungen, aber auch für wirtschaftliche Entwicklungen.
Ein Motor für Veränderungen
Nicht nur in den Vorträgen wirkt die diesjährige SensAbility erwachsen. Erwachsen, aber dabei optimistisch, zukunftsorientiert, handelnd. Besonders beeindruckend für mich: Das Niveau der Workshops, die ich am ersten Tag besuche. So präsentieren Duc Nguyen, Gründer von Infinity Mannheim, und Armin Mesgaran, Sprecher der Initiative, Analysen und Erfahrungen aus ihrer Arbeit. So professionell, dass sie manchen Businesscoach blass aussehen lassen, fassen sie ihre Learnings aus verschiedenen Projekten zusammen. Im Anschluss sind wir Teilnehmende gefordert: Ein globales Problem soll über lokales Engagement angegangen werden. In drei angeleiteten Schritten entwickeln wir Konzeptentwürfe für Veranstaltungen, Netzwerktreffen und Projekte. „Das Überarbeiten und Anpassen ist zentral“, erklärt Duc Nguyen. „Daher muss auch alles gemessen und analysiert werden, um herauszufinden, was funktioniert“. Infinity gibt ein selbst konzipiertes Beispiel dafür. „Wir haben Glasflaschen für die Studierenden der Universität Mannheim produziert, die helfen sollten, weniger Wasser in Plastikflaschen zu kaufen. Natürlich dachten wir, dass unsere Studierenden die Flaschen kaufen würden, weil sie viel nachhaltiger sind. Als wir unsere Umfragen auswerteten, stellten wir dann fest: Wir waren die einzigen, denen dieser Punkt wirklich wichtig war.“ Was in diesem Rahmen zunächst beinahe deprimierend klingt, fasste Infinity zu einem Satz zusammen, der in allen Projekten Berücksichtigung findet: „Nachhaltigkeit ist nie ein einmaliges Verkaufsargument, sondern immer nur Beigabe. Wer das mit einbezieht, läuft nicht so schnell Gefahr, mit seiner Idee zu scheitern.“
Fuckup-Session: Das Scheitern als notwendige Erfahrung
Was wir im Workshop besprechen, bestätigt später Holger Heinze. Er gründete in 2015 mit einem Team einen nachhaltigen Online-Shop. „Wie amazon, nur in cool!“ Etwas über ein Jahr später ging der Shop offline, und Holger Heinze hatte jede Menge Schulden, die er bis vor kurzem abbezahlen musste. Trotz des kein bisschen witzigen Themas führt Holger Heinze rhetorisch so perfekt und so gut gelaunt durch sein Scheitern, dass der Saal zwischendurch laut auflacht. Sein Fuckup ist der Sympathieträger des Tages. Kaum jemand merkt sofort, wie er der Social Entrepreneurship-Szene während seines Vortrags wie nebenbei den Spiegel vorhält. „Als wir starteten, sagten wir uns: Wir sind ein Social Startup! Jeder wird bei uns kaufen wollen, einfach weil wir so toll sind“. Ein großer Fehler, den viele machen, meint Holger. Sie investieren weder in Zielgruppenrecherche, noch in die Kalkulation. „Doch Nachhaltigkeit allein bringt niemanden dazu, bei Dir einzukaufen“. Oder, formuliert er am Ende seines Vortrags noch härter: „Wenn Du bei Deinen Kunden moralisches Handeln unterstellen musst, damit sie mit Dir in Kontakt treten, bist Du entweder eine Religion, oder Du steckst in Schwierigkeiten“.
In seinem zweiten zentralen Rat rät er dazu, sich Kritiker zu suchen statt eines wohlwollenden Publikums. „Die Social Entrepreneurship-Szene ist zu nett zueinander“, gibt er zu bedenken. „Alle bestätigen Dich in Deinem Tun, alle finden Deine Idee großartig. Aber wir brauchen keinen Applaus. Wir brauchen Menschen, die den Finger auf die Probleme legen. Die uns kritisieren. Wie sonst sollen wir am Ende mit unseren Projekten Erfolg haben?“
Bitte kein Applaus! Ehrliche Kritik als Basis des Erfolgs
Wie wichtig Ehrlichkeit für das Gelingen von Projekten ist, stellen auch Franziska Klein und Ivo Degn in ihrem Workshop heraus. ProjectTogether berät und coacht junge soziale Unternehmerinnen und Unternehmer. Die Initiative führt dabei Menschen aus Unternehmen mit Social Startups und Projekten aus einer sehr frühen Phase zusammen. Die Mentoren beraten dann in so unterschiedlichen Feldern wie der Wahl der richtigen Rechtsform, der Außenkommunikation, verschiedener Varianten zur Förderung, dem Businessplan, Skalierung und vielem weiteren. Im Workshop von ProjectTogether werden wir selbst kurzzeitig zu Coaches und dürfen ausprobieren, wie schwierig das mit der Ehrlichkeit gegenüber einem Projekt ist. Denn während man auf keinen Fall einen Menschen demotivieren und ihm seine Idee ausreden will, soll man auf der anderen Seite den Finger gezielt auf Schwachpunkte legen, die Motivation hinterfragen, Pläne auseinander nehmen. „Wir haben selbst aktuell einen Mentor, der uns sehr stark herausfordert“, erzählt Ivo Degn während unserer ersten Coachingversuche zur Bekräftigung. „Das ist ungeheuer anstrengend, aber wir lernen bei ihm so unendlich viel.“
Als Herausforderung empfinden viele, die sich sozial und nachhaltig engagieren, auch den Spagat zwischen Idealismus und Wirtschaftlichkeit. Dazu findet Andrea Weber, Leiterin CSR bei der Metro AG, klare Worte: „Wenn Du nicht auf die Wirtschaftlichkeit Deines Vorhabens schaust, wirst Du nie ein nachhaltiges Unternehmen aufbauen können“. Hinter diesem Satz steckt die schmerzvolle Erfahrung, dass viele Social Startups schon nach wenigen Monaten nicht mehr existieren, weil sie ihre Ideen nicht in ein wirtschaftlich profitables Modell überführen konnten. „Wir leben im Kapitalismus“, erklärt Sebastian Grothaus von Good Profits am zweiten Tag der SensAbility diesen Punkt näher. „Geld wird dann wichtig, wenn es Dir fehlt. Und ein starker Mangel an Geld wird so viel Energie von Dir abziehen, dass Du nicht wirken kannst“. Wie auch Andrea Weber sieht er ein finanziell erfolgreiches Unternehmen als hervorragendes Mittel an, gesellschaftlichen Wandel herbeizuführen und das System langfristig zu entlasten. „Überlegt Euch Folgendes: Wenn Ihr mit einer sozialen Idee erfolgreich seid und Euer Unternehmen wächst, wachsen auch die positiven Auswirkungen Eures Tuns“.
Noch stärkere Ausrichtung auf Wirtschaftlichkeit
Sebastian Grothaus ist nicht nur Speaker auf der SensAbility. Sein Geschäftspartner Dirk Stiller und er unterstützen die Veranstaltung finanziell mit einem Sponsoring. Beide sind die gesamte Zeit über anwesend, hören sich die Vorträge an, sind für die Teilnehmerinnen und Teilnehmer ansprechbar. Ich finde das bemerkenswert und möchte wissen, wieso sie die Veranstaltung sponsern. „Ohne Sponsoren ist so ein Event für einen günstigen Ticketpreis nicht möglich“, sagt Dirk Stiler. „Und die SensAbility bietet so viel. Bevor wir Good Profits gründeten, nahmen wir hier an verschiedenen Workshops teil. Ich war damals komplett begeistert von dem hohen Niveau, nahm sehr viel aus der Veranstaltung mit. Heute wollen wir gerne etwas von dem zurückgeben, was wir hier jedes Jahr erhalten.“ Für wen empfiehlt der Mitgründer von Good Profits die SensAbility? „Die Veranstaltung ist vor allem für junge Menschen, die mit ihrem Handeln etwas bewegen wollen, eine ganz tolle Möglichkeit. Sie können ihre Ideen und ihren Mut einbringen, aber auch von erfahrenen Unternehmern, ihren Fehlern und ihren Erfolgen lernen.“
Perfekte Organisation, schwaches Podium
Die SensAbility kann ihren Grad an Professionalität und an Mehrwert für die Teilnehmenden auch in diesem Jahr halten – ein Jahr, in dem sie sich vor allem durch die Wahl ihrer Vortragenden wieder ein Stück erfahrener, reifer, vielleicht sogar offener zeigt. Das neue Format der „Fuckup Night“ trägt mit Sicherheit dazu bei. Doch mit der noch stärkeren Hinwendung zum Wirtschaftlichen, mit der immer ein wenig nüchterner werdenden Bewertung des Idealismus, den wir als Szene teilen, kommt auch neuer Konkurrenzdruck in die Diskussionen und Formate. So sehe ich beim Social Pitch in diesem Jahr zwar viele gute Ideen, aber die Präsentationen gefallen mir selten. Zu glatt wirkt das meiste, zu einstudiert. Als ob die Kernbotschaften bereits in unzähligen Workshops geschliffen wurden, um vor der Konkurrenz bestehen zu können. Die vielen inhaltlich interessanten Gespräche im Hof werden ergänzt durch das bei Startup Events gängige Werben, das noch vor kurzem unter den Social Entrepreneurs keine allzu große Rolle spielte. Und auch in der Podiumsdiskussion, die im letzten Jahr zu meinen Highlights zählte, nimmt die Selbstvermarktung viel mehr Raum ein als das eigentliche Thema. Die durchaus interessant besetzte Runde, moderiert von Podcaster Tobias März, kommt vor lauter Erzählen ihres eigenen Weges nicht zu der angekündigten Fragestellung. Fast eine halbe Stunde dauert es, bis ein Zuhörer aus dem Publikum für alle das Wort ergreift und die Runde daran erinnert, was auf dem Podium eigentlich diskutiert werden sollte. Zu spät erfolgt dieser Eingriff und bestätigt gleichzeitig, was Holger Heinze am Vorabend so betonte: Wir sind zu nett zueinander. Das ist schön, aber nicht hilfreich.
Alles in allem war die SensAbility auch in diesem Jahr eine hervorragend organisierte, durch und durch besuchenswerte Veranstaltung. Danke an alle, die sie möglich machen!
Ein Kommentar
Hey Julia,
danke für die Erwähnung.
Hier gibt’s den Vortrag mit Folien: Social E-Commerce, how not to do it.
https://www.youtube.com/watch?v=jFnysR8DnNE&feature=youtu.be
LG
Holger