Vergangenes Wochenende fand in Vallendar zum achten Mal die „SensAbility“ statt. Studierende der WHU Management School richten die Konferenz aus, die sich um soziales Unternehmertum, Start-Ups und soziale Innovationen dreht. Ein persönlicher Rückblick auf zwei inspirierende Tage.
„Seht Euch bitte diese Gläser an“, sagt Francisca Fei, die Moderatorin des Diskussionspanels „Half full or half empty – which direction is society heading in?“: „Wenn Ihr an Sozialunternehmer denkt: Was meint Ihr, welcher Kategorie sind wir alle am ehesten zuzuordnen?“ Ryan Little antwortet als erster: „Zunächst muss ich sagen, wie es sich gesamtgesellschaftlich da draußen gerade anfühlt. Da ist das Glas nämlich vom Tisch gefallen, zerbrochen, und das Wasser ist überall verschüttet.“
Ryan Littles Antwort erscheint mir für einen Moment ganz falsch auf einer Konferenz, auf der es um Social Enterprises, um Mut und letztlich um Hoffnung geht. Erst später verstehe ich, was dort passiert. Unten im Hörsaal sitzen Menschen, die sich schon lange mit gesellschaftlichen Fragen auseinander setzen. Sie erzählen aus ihrer Erfahrung, argumentieren fundiert, nehmen verschiedene Standpunkte ein und sind dabei ehrlich. So geht Paula Schwarz zum Beispiel hart mit der Entwicklungshilfe in Afrika ins Gericht: „Wir haben da so unendlich viel Geld versenkt, das nie angekommen ist, ja, das sogar geschadet hat.“ Ryan Little will seine erste Antwort trotzdem nicht zu negativ verstanden wissen und erklärt: „Es passieren viele unglaublich gute Dinge auf der Welt. Wir haben bereits einiges erreicht!“ Aber: Oft sind es einige wenige Menschen, die die Umstände nicht mehr ertragen und handeln. Von umfassender staatlicher Rückendeckung oder gesamtgesellschaftlicher Verantwortung scheinen wir noch Lichtjahre entfernt.
Hohes Problembewusstsein
Den Teilnehmenden der „SensAbility“ ist das bewusst. Niemand hier blendet aus, dass noch immer zu wenige Menschen soziales Handeln und Unternehmertum miteinander verbinden. Doch gerade deswegen lässt sich unter so vielen Gleichgesinnten die Atmosphäre der Konferenz und die Sonne im Burghof der WHU Management School genießen. Während ich mich über die Anwesenheit einiger meiner persönlichen Helden freue, esse ich einen veganen Burger aus regionalen Bio-Lebensmitteln, studiere die Zutatenliste eines veganen Müslibechers und trinke fair gehandelten Kaffee. Danach geht es weiter. Mit Workshops, Vorträgen und Fragen an die vorgestellten Projekte: „Wie wirtschaftlich ist das Vorgehen, wie zukunftsfähig das Modell?“ „Kommt die Hilfe dort an, wo sie benötigt wird?“ „Wie kann bei dem Projekt soziale Ungleichheit vermieden werden?“ Und immer wieder: „Wer unterstützt/ finanziert/ fördert das?“
Zu wenig Hilfe vom Staat
„Der Staat nicht“, lautet die sinngemäße Antwort von Torsten Schreiber, Gründer von „Africa Greentec„, auf die letzte Frage. Ihr Projekt ist zu 100% privat finanziert. „Es gibt einen Entwicklungsfonds für soziale Unternehmen in Deutschland. Die Verantwortlichen waren von unserem Projekt begeistert. Finanzieren konnten sie allerdings nichts, weil wir als Start-Up noch keine drei Jahre alt sind“, erklärt er die Schwierigkeiten bei Projekten. Bürokratische Hürden kennen auch andere Social Start-Ups. Ihre Idee ist brillant, die Welt vielleicht sogar bereit, aber der Staat bietet kaum Förderungen an. Private Investoren oder große Firmen als Schirmherren sind da oft die einzige Möglichkeit, um Vorhaben in die Tat umzusetzen.
Bei den Solarcontainern von „Africa Greentec“ half die Crowd: Die Entwicklungskosten für die mobilen Solarpanels, die Strom auch in sehr unzugängliche Gebiete Afrikas bringen, wurden durch Crowdfunding gestemmt. Mit einem Video erklären die Gründer Entwicklung, Bau, Transport und „Social Impact“ der Solarcontainer. Als ein Zuhörer fragt, ob diese gestohlen werden könnten, erzählt der Gründer Torsten Schreiber mit seinem Assistenten Jesse Pielke von der emotionalen Bindung, die die Dorfbewohner zu „ihrer“ Stromquelle hätten: „Morgens laufen die Schulkinder als erstes am Solarcontainer vorbei, küssen und streicheln ihn.“ Der Hörsaal lacht berührt. So etwas macht glücklich, nicht nur das Team von „Africa Greentec“.
Emotion schafft Inspiration
Auch darum geht es auf der „SensAbility“, ohne dass es direkt angesprochen werden muss: Um das Glück, das Socialpreneure erleben dürfen. Um die Bereicherung sinnstiftenden Arbeitens, und um die Hoffnung auf eine Zukunft, in der wir die vielen Probleme dieses Planeten gemeinsam lösen. Eine Zeit, in der Social Startups keine einzelnen Strohfeuer mehr sind, sondern ein Flächenbrand.
Praxisorientiert, durchdacht, kritisch hinterfragt. So stellt sich mir die gesamte Konferenz dar. Von der klugen und besonnenen Moderation des Diskussionspanels durch eine ehemalige Studierende der Hochschule, über die Workshops für die Studierenden, die Möglichkeiten zum Kennenlernen und Vernetzen und das Niveau der Fragen bis hin zur Organisation. Die Idee, Studierende und Absolvent*innen frühzeitig an soziales Unternehmertum heranzuführen, scheint zu glücken. So berichtet ein weiterer Alumnus der WHU, Julian Oehrlein, wie er mit seinem Unternehmen „Oradian“ Finanzen und Klientenverwaltung von afrikanischen Firmen verbessern konnte: „Die einfache Software spart sehr viel Zeit, die dann in die Kundenbeziehungen und den Ausbau investiert werden können.“ So wie die afrikanischen Firmen durch die neue Software wachsen konnten, wächst auch „Oradian“. Aktuell haben sie Zweigstellen in Zagreb, London, Manila, Johannesburg und Lagos und suchen neue Mitarbeiter*innen.
Auch Nicole Dufft von „betterplace.lab“ zeigt am Freitag, wie ihr Unternehmen sozialen Initiativen und Social Start-Ups hilft, ihre Ressourcen besser zu nutzen: „Beinahe alle glauben, dass Social Media wichtig ist. Nur wenige aber nehmen sich die Zeit, sich mit den sozialen Medien tatsächlich auseinander zu setzen.“ Dabei, sagt sie, setze die richtige Anwendung von Social Media viele Ressourcen frei. „Im Grunde ist es eine Zeitersparnis, aber das muss den Menschen erst vermittelt werden.“
Überzeugende Konzepte, große organisatorische Leistung
Viele der frisch gegründeten Start-Ups, die sich auf der Konferenz präsentieren, wissen bereits um die Möglichkeiten der sozialen Medien. Im Social Pitch stellen sich die neuen Unternehmer*innen Publikum, Jury und Investoren. An diesem 24. März entscheidet sich die Jury für die „waldmenschen“ – eine Organisation, die facebook aktiv nutzt. Kurz vor dem Abendessen im Gewölbekeller unter der Hochschule dürfen Vorstand Arne Knöchel und Gründungsmitglied Tania Eke vor allen Konferenzteilnehmenden präsentieren. Ihre Idee: Der Abholzung des Regenwaldes durch Pflanzung eines „Generationenwaldes“ auf gerodeten Flächen entgegen wirken.
Aus diesem Generationenwald kann in verschiedenen Phasen Holz entnommen werden, das verkauft wird. Die restlichen Bäume bleiben stehen. Der Gewinn dieses Verkaufs wird zum Teil ausgeschüttet, deckt zum Teil die Arbeitskosten, und wird zum Teil in den Kauf weiterer gerodeter Flächen investiert. Kein verordnetes Protektorat, wie es Umweltschutzorganisationen lange versuchten. Die „waldmenschen“ arbeiten sowohl in Panama als auch in Deutschland. Angestrebt wird ein Mittelweg zwischen dem notwendigen Schutz des Regenwaldes und einem ertragreichen Bewirtschaften. Ihre Idee kommt an, erste Angebote für Investitionen erhalten die beiden noch vor Ort.
Dennoch sind die eigentlichen Hauptakteure der „SensAbility“ die Studierenden, die sie organisieren. Vom freundlichen Empfang über die Betreuung der Vortragenden bis hin zum Kellnern am Abend. Eine große organisatorische Leistung, die mit der Ausrichtung der „SensAbility“ eine hohe gesamtgesellschaftliche Bedeutung hat. Oder, um es noch einmal mit den treffenden Worten von Paula Schwarz zu sagen:
„Was wir dringend brauchen, ist Vertrauen. Wir brauchen Agenten des Vertrauens und Kommunikation. Wir brauchen Menschen, die Verbindungen schaffen.“
Anmerkungen: Alle Vorträge in diesen Rückblick hineinzunehmen hätte den Rahmen des Artikels gesprengt. Sie wurden aber aufgezeichnet und können (auf englisch) angesehen werden. Die Zitate in diesem Beitrag sind sinngemäße, nicht wortgetreue Übersetzungen aus den Vorträgen und Panels. Fotos: Julia Schönborn