20.03.2013 – Hauptschüler müssen sich oft anhören, dass ihnen keine gute Zukunft bevorsteht, dass sie nichts können und so weiter…Anstatt ihnen Anporn zu geben und ihre Talente zu fördern, geschieht meist das Gegenteil. ROCK YOUR LIFE! (www.rockyourlife.de) hat dieses Problem erkannt und arbeitet mit jugendlichen Hauptschülern, um ihnen Mut zu geben. Social-startups.de sprach mit Philip Ihde, dem Mitgründer von ROCK YOUR LIFE! München.
Philip, der Name ROCK YOUR LIFE! (RYL!) klingt irgendwie anziehend. Was steckt denn dahinter?
ROCK YOUR LIFE! ist eine deutschlandweites Sozialunternehmen, das Coaching-Beziehungen zwischen Studierenden und Hauptschülern organisiert. Jeweils ein Student und ein Schüler arbeiten über zwei Jahre an ihren ganz eigenen Zielen, Bedürfnissen und Vorstellungen. Jede Beziehung ist daher ganz individuell ausgerichtet – einige arbeiten an den Schulleistungen, andere bereiten sich auf das vor, was nach der Schule kommt, in vielen Coaching-Beziehung geht es einfach ums Zuhören und füreinander Dasein. Die ehrenamtlich tätigen Studierenden werden dabei durch unsere eigenen Trainer in mehreren Seminaren ausgebildet und kontinuierlich durch Supervisionen, Materialien und Zusatzangeboten unterstützt.
Wer sind eure Coaches und was sind deren Aufgaben?
Unser Netzwerk erstreckt sich mittlerweile durch ganz Deutschland: Wir haben als Social Franchise 30 lokale Standorte, jeweils organisiert durch ehrenamtliche Studierende. Alle unsere Coaches sind Studierenden der verschiedensten Studiengänge, Universitäten und Hochschulen. Wir haben Bachelor- und Masterstudenten, Doktoranden und den ein oder anderen Auszubildenden, insgesamt über 1000 Freiwillige!
Unsere Coaches begleiten jeweils einen Schüler der 8-10 Klasse, zum Großteil arbeiten wir zusammen mit Hauptschulen. Diese Eins-zu-Eins-Beziehungen ermöglichen eine ganz individuelle Betreuung, sie sind die Grundlage für Vertrauen und Gemeinschaft. Die Coaches haben dabei keine dedizierte Zielsetzung, sondern erarbeiten gemeinsam mit ihrem Coachee ein eigenes Coaching-Programm. Wir geben lediglich einen Werkzeugkasten mit Material, theoretischen Grundlagen und Methoden.
Wie bist du darauf gekommen, bei ROCK YOUR LIFE! zu gründen?
Ich persönlich habe vor drei Jahren gemeinsam mit Kommilitonen den Münchner Standort gegründet: ROCK YOUR LIFE! München e.V. Auch neben dem Bachelor-Studium war noch Zeit, sich sinnvoll zu engagieren und aktiv zu werden. Das Konzept, das damals noch in den Kinderschuhen steckte, war perfekt: Wir haben auf unseren eigenen Bildungsweg geschaut und gemerkt, dass wir an allen entscheidenden Situationen in unserem Leben immer Freunde, Familie und andere starke Personen an unserer Seite hatten, die uns halfen, mit den vielen Eindrücken und Hürden klar zu kommen. Diese eigene Erfahrung wollten wir weitergeben. Bei RYL! konnten wir unsere eigenen Ideen einbringen und gemeinsam rocken!
Kannst du etwas über die Organisationsstruktur von ROCK YOUR LIFE! sagen?
RYL! ist als Social Franchise aufgebaut: Die ROCK YOUR LIFE! gGmbH ist als deutschlandweite Zentrale für die inhaltiche Weiterentwicklung, Qualitätsmanagement und Standortbetreuung zuständig. Das Programm wird von eigenständigen Vereinen auf lokaler Ebene umgesetzt.
ROCK YOUR LIFE! ist eine gemeinnützige GmbH. Erziel sie Einnahmen? Wenn ja, wie?
Unsere Einnahmenstruktur ist ein Dreigespann aus Stifungsmitteln, Unternehmensförderungen und Beiträge durch die Vereine, die für Betreuungsangebote und Infrastruktur einen gewissen Jahresbeitrag zahlen.
Habt ihr auch Kooperationspartner, die euch unterstützen? Wie wichtig sind diese und wie unterstützen sie euch?
Wir haben von Anfang an unsere Türen geöffnet: Es war uns sehr wichtig, von Beginn an mit etablierten Partnern aus Wirtschaft, Politk und Zivilgesellschaft zusammen zu arbeiten. So haben wir unsere Coaching-Ausbildung gemeinsam mit den Konstanzer Seminaren, einem führenden Coaching-Unternehmen in Deutschland, entwickelt. Das Fundament für die Gründung unseres Sozialunternehmens legte die BMW Stiftung Herbert Quandt. Wir sind Mitglieder der Allianz für Bildung des Bundesministeriums für Bildung und Forschung und arbeiten dort gemeinsam mit anderen Initiativen an unseren Visionen für die Bildungslandschaft der Zukunft.
Zusammenarbeit und Kooperation ist ein wichtiger Bestandteil unserer Arbeit und wir freuen uns, bis jetzt so viele tolle und beeindruckende Partner gewinnen zu können.
Warum glaubt ihr, dass es wichtig ist, Hauptschüler zu unterstützen?
Diese Frage kann man auf verschiedenen Ebenen beantworten: Rein volkswirtschaftlich betrachtet, können wir uns es nicht leisten, so viele Jugendliche auf dem Weg ins Berufsleben ‚zu verlieren’.
Um unsere Wettbewerbsfähigkeit auch in Zukunft zu behalten, brauchen wir gut ausgebildete Jugendliche. Im Laufe der Zeit habe ich mit vielen Unternehmen gesprochen, die mir jedes Mal von ihren Sorgen um geeignete Nachwuchskräfte und zum teil gravierende Einbrüche ihrer Bewerberzahlen berichteten. Viele Unternehmen suchen verzweifelt nach Auszubildenden, gerade der Mittelstand. Auf der anderen Seite wissen viele unserer Schüler nicht, welche Möglichkeiten auf sie warten und was sie machen wollen.
Auf einer anderen Ebene steht die Frage nach Chancengleichheit, Integration und Potentialentfaltung: Jeder Schüler oder Schülerin hat ein Recht darauf, seine eigenen Potentiale und Visionen zu verfolgen, zu entwickeln und zu leben. In unserem Bildungssystem ist dies oft nicht möglich, teilweise fehlt aus den verschiedensten Gründen die Unterstützung durch die Familie. Wir möchten unsren Schülern den Mut geben, ihre eigenen Wünsche zu entdecken und den Mut geben, diese zu verfolgen.
Was könnt ihr den Schülern geben, was ihnen die Lehrer nicht geben können?
Wir haben als Studenten eine besondere Bindung zu den Schülern: Der Altersunterschied ist mit max. 10 Jahren nicht gravierend, wir haben oft gleiche Interessen, hören die gleiche Musik und vor allem befinden wir uns in ganz ähnlichen Lebenssituation: Ob Student oder Hauptschüler, wir müssen uns entscheiden, welchen Weg wir im Leben gehen wollen. Was möchte ich später arbeiten? Ausbildung oder weiterführende Schule? Master-Studium oder doch direkt arbeiten?
Als Studenten haben wir den Luxus, uns erst spät entscheiden zu müssen, wir können uns im Studium versuchen und nehmen uns Zeit, unsere beruflichen Vorstellungen erst zu entwickeln. Unsere Schüler müssen sich mit 14 oder 15 Jahren entscheiden, ggf. dann ins Berufsleben einsteigen. Wenn ich mich an mein 14. oder 15. Lebensjahr erinnere, bin ich sehr froh, diese Entscheidung damals nicht treffen zu müssen. Diese Ähnlichkeit der Lebenssituation und ein gewisser Coolness-Faktor helfen uns, schnell eine gute Verbindung mit den Schülern aufzubauen.
Wie können Schüler von ROCK YOUR LIFE! gecoacht werden?
Der Bewerbungsprozess ist von Standort zu Standort unterschiedlich und kann je nach Situation angepasst werden: Aber grundsätzlich lernen Schüler RYL! über Veranstaltungen, ehemalige Coachees und Informationsveranstaltungen kennen und können sich dann freiwillig anmelden. Teilweise wird das Programm auch stark von der Schulleitung und Lehrern beworben. Es ist uns wichtig, dass RYL! stets freiwillig bleibt.
Bekommt ihr Feedback von Schülern, Schulen oder Unternehmen? Wie fällt dieses aus?
Das Feedback ist bis jetzt stets sehr positiv. Wir sind in im Endspurt einer großangelegten Zwischenevaluation. Dabei haben wir herausgefunden, dass die große Mehrheit unserer Schüler, RYL! stets weiterempfehlen würde. Dies ist für uns ein starkes Indiz dafür, dass unser Programm angekommen ist.
Unsere Partnerunternehmen bewundern die professionelle Organisation unseres Programms und das Herzblut und Engagement der Freiwilligen in ganz Deutschland. Auch bei den Schulen werden wir mit offenen Armen empfangen. Die Schulen freuen sich auf die Unterstützung und helfen uns, wo sie können.
Vielen Dank für das spannende Interview! Würdest du zum Schluss noch einige Wörter zu deiner Person sagen?
Ich heiße Philip Ihde und studiere im 7. Semester Technologie- und managementorientiere BWL an der Technischen Universität München. Ich habe gemeinsam mit Caroline Meder und anderen Kommilitonen 2010 den Münchner ROCK YOUR LIFE! Verein gegründet. Seitdem brennt mein Herz für die Initiative. Ab April 2013 werde ich mich Vollzeit in der neuen Zentrale in München um das Netzwerkmanagement, Finanzen und Kommunikation kümmern.