Freitags ist frei – und zwar bei der Freitagsschule. Doch bekommen im Rahmen des Projekts Freitagsschule zugewanderte Auszubildende nicht etwa Frei-Zeit von ihren Ausbildungsbetrieben, sondern Lern-Zeit. Was es dafür braucht? Engagierte Unternehmen, die ihre Auszubildenden Freitags freistellen – um gezielte, berufsspezifische Sprachförderung zu ermöglichen. Wir waren mit Veit Cornelis aus der Geschäftsführung des Vereins und Projektträgers Bildung für alle e.V. im Interview.
Weil Verständigung den Anfang macht
Neu in ein Land zu kommen ohne die Sprache zu können ist schon schwer genug. Aber dann lernt man Deutsch – und dann versteht man doch niemand. Denn es wird Dialekt gesprochen. Das geht nicht 28nur Menschen so, deren Muttersprache eine andere als Deutsch ist. Als ich, geboren und aufgewachsen in Deutschland, das erste Mal auf die Großeltern meines Partners traf, verstand ich kein Wort. Die beiden kommen aus dem tiefsten Franken. Umgekehrt verstand mein Partner meine schwäbischen Großeltern nur, wenn sie ganz langsam sprechen. Es wurde natürlich besser, je länger wir uns beide in den jeweils anderen Dialekt reinhörten. Ich weiß jetzt auch, was Barzlkeeh sind. (Um euch die Recherche zu ersparen: es sind Tannenzapfen, purzelnde Kühe halt.)
Wenn man nicht nur in einem neuen Land startet, sondern auch eine neue Ausbildung – in der dann fast alle Dialekt sprechen – ist es meist noch schwieriger, Anschluss zu finden. Denn wer nicht mitsprechen kann, kann auch nur schwer teilhaben. Diesem Problem nimmt sich die Freitagsschule im badischen Freiburg an. Die Freitagsschule richtet sich dabei an zugewanderte Auszubildende zwischen 16 und 30 Jahren.
Die Freitagsschule im Interview
Wie kamt ihr auf die Idee für die Freitagsschule, Veit?

Veit: Die Idee der Freitagsschule ist – wie so ziemlich alles bei Bildung für alle e.V. – aus einem unmittelbaren Bedarf heraus entstanden. Der Gründer von Bildung für alle e.V., selbst Inhaber einer Schreinerei, hat bei einem eigenen Mitarbeiter erfahren, wie schwer die duale Ausbildung in Deutschland gerade für junge, zugewanderte Menschen ist. Diese Erfahrung hat er in den Verein getragen und dort haben wir gemeinsam mit Denkpartner*innen, z.B. der SchlaU-Werkstatt für Migrationspädagogik aus München intensiv an Möglichkeiten der passgenauen Begleitung von zugewanderten Auszubildenden gearbeitet. Mit allen Herausforderungen und ja, auch Fehlversuchen, können wir heute sagen, dass wir mit der Freitagsschule ein funktionierendes Bildungsangebot entwickelt haben.
Und warum den ganzen Freitag frei? Was spricht zum Beispiel gegen eine Abendschule, wie es bei vielen anderen Sprach- und Weiterbildungskursen der Fall ist?
Veit: Zugewanderte Menschen haben einen „großen, schweren Rucksack“ in ihrem Leben zu tragen – so unsere häufig genutzte Metapher. Darin sind Herausforderungen, die Menschen nicht alleine bewältigen können; insbesondere dann nicht, wenn sie noch viel zu wenig die Sprache des Landes sprechen, in das sie gekommen sind. Wenn ich mir nun vorstelle, dass ich ohnehin bereits mit vielen alltäglichen, aber auch ausbildungsspezifischen Dingen überfordert bin, dann sind „On-top-Angebote“ nur wenig hilfreich. Daher haben wir mit der Freitagsschule ein „Anstelle-von-Angebot“ geschaffen. Wir erzeugen dadurch einen „Freiraum“ zur individuellen Förderung von zugewanderten Auszubildenden und schaffen, nicht zuletzt durch die Freistellung des Betriebes, eine sehr ernstgemeinte Anerkennung der Herausforderungen, die die jungen Menschen haben. Da eine Freistellung des Betriebes für das Gelingen notwendig ist, zeigen auch die Unternehmen, welches große Interesse, aber auch Potenzial sie in den Auszubildenden sehen. Es sind die Fachkräfte von übermorgen!
Diversität und Migrationsvordergrund als Vorteil
Was genau wird dann freitags bei euch gemacht?
Veit: Grob gesagt: Wir lernen gemeinsam! Während der Begleitungszeit – wir nennen es nicht Unterricht! – werden die Auszubildenden von unseren Lernbegleiter*innen in der Bearbeitung von schulischen oder betrieblichen Fragestellungen unterstützt. Die Auszubildenden sind für die Inhalte verantwortlich, d.h. sie bringen ihre Themen mit. Zusätzlich erhalten sie ein Coaching bzgl. ihrer Selbstlernkompetenz. Wir arbeiten stets mit den Auszubildenden als Team: Das gemeinsame Lernen in der Gruppe schafft die Möglichkeit, binnendifferenziert zu arbeiten und sich als Lerngruppe mit ähnlichen oder gleichen Herausforderungen zu identifizieren. Sich gegenseitig helfen, ist dabei aus unserer Sicht ein erfolgreicher Ansatz, um eigene Lösungsstrategien im Umgang mit Lerninhalten zu entwickeln. Es können aber auch psychosoziale Belastungen in der Gruppe oder auch in Einzelgesprächen adressiert werden. Wenn nicht gerade Freitag ist, stehen wir außerdem zu bestimmten Zeiten per WhatsApp mit den Teilnehmenden in Kontakt. Dies ist besonders dann wichtig, wenn sie einige Wochen in der Berufsschule sind.
Und wie finanziert sich die Freitagsschule?

Aktuell tragen wir die Projektkosten der Freitagsschule durch Fördermittel von zwei Stiftungen. Die Kosten der Freistellung der Auszubildenden tragen die Betriebe. Wir nehmen somit auch diese in die direkte monetäre Verantwortung und wissen auch, dass unser Projekt für einen Ausbildungsabschluss mit der inhaltlichen Begleitung liefern muss. Diesen Druck nehmen wir aber gerne in Kauf, da wir an die jungen Auszubildenden glauben und gemeinsam mit ihnen etwas erreichen möchten.
Du hattest erwähnt, dass es sich viele Betriebe aufgrund begrenzter Mittel sowie Personalmangel nicht leisten können, ihre Auszubildenden jeden Freitag freizustellen – und ihr deshalb nach einer anderen Lösung sucht. Wie sieht diese aus?
Veit: Wir überlegen gerade für kleinere Betriebe auch nur kurze Phasen der Begleitung anzubieten. Sozusagen eine „Freitagsschule light“. Das heißt, dass wir beispielsweise nur in bestimmten Schulfächern unterstützen oder auch zeitlich begrenzt, beispielsweise nur wenige Wochen. Die Herausforderung ist jedoch, dass wir so die Auszubildenden zu wenig kennenlernen und echte Lernstrategien vermitteln können. Es ist dann eher eine Art Nachhilfe und das wollen wir mit der Freitagsschule nicht sein.
Der Wunsch, kopiert zu werden
Die Freitagsschule möchte ausdrücklich kopiert werden. Denn in vielen anderen Regionen brauchen zugewanderte Auszubildende genau dieselbe Unterstützung. Und in ganz Deutschland besteht Fachkräftemangel. Um die Fachkräftebasis nachhaltig zu stärken, müssen Teilhabe und Beschäftigungsfähigkeit gefördert – und zwar genau so, wie es die Freitagsschule macht: durch Bildung, Weiterentwicklung von Kompetenzen und Anerkennung. Und das alles unter Einbezug von migrationsspezifischen Bedarfen, wie z.B. aufenthaltsrechtliche Fragen.