01.12.2015 – Es ist das Social Startup, von dem man im Moment sehr häufig liest: Die Kiron University. Wir haben Mitgründer Markus Kregler im Interview.
Lieber Marcus, du bist Co-Founder der im Moment vielleicht berühmtesten Universität in Deutschland: der Kiron University. Eure Universität ist extra für Flüchtlinge – wie bist du auf die Idee gekommen?
Vincent und ich haben beide die Erfahrung gemacht, dass viele Flüchtlinge hochqualifiziert und motiviert sind. Die Möglichkeit einen höheren Bildungsweg einzuschlagen, bleibt ihnen jedoch aufgrund ihres Status als Flüchtlinge verwehrt. Vincent machte diese Erfahrungen in Istanbul und ich in der psychosozialen Beratung in Berlin, bei der ich mich direkt mit Betroffenen austauschte. Als wir uns auf einer Konferenz der Friedrich Naumann Stiftung trafen, tauschten wir unsere Ideen aus und entwickelten daraufhin das Konzept für eine Universität für Flüchtlinge – Kiron University.
Im Oktober startete der erste Jahrgang mit 1.000 Erstsemestern – aus welchem Land kommen die meisten sog. Ersties?
Der Großteil unserer Studenten, die am 15. Oktober begannen, an der Kiron University zu studieren, stammen aus Syrien und Palästina, gleich darauf folgen Ägypten und der Irak als Herkunftsländer.
Als Asylsuchender muss man Monate, wenn nicht sogar Jahre, warten, bis man einen Studienplatz bekommt. Der Grund sind oftmals Unterlagen, die erst noch aus den Krisenländern beschafft werden müssen. Wie umgeht Ihr diese Hürde?
Die Unvollständigkeit studienrelevanter Dokumente ist tatsächlich eine bedeutsame Hürde, die Flüchtlinge daran hindert, ein Studium an einer regulären Hochschule aufzunehmen. Wir bei Kiron umgehen diese Hürde, indem sich die Geflüchteten auf Grundlage ihres Flüchtlingsstatus an der Kiron University einschreiben können. Die ersten beiden akademischen Jahre erfolgen online über MOOC-Anbieter. Erst zu Beginn des dritten Studienjahrs, zu dessen Beginn sich unsere Studenten für eine unserer hervorragenden Partnerhochschulen entscheiden, müssen sie die benötigten Dokumente vorlegen. So geben wir unseren Studenten einen zeitlichen Aufschub beim Zusammentragen der erforderlichen Formalien. Gleichzeitig erhalten sie die Möglichkeit, ihre Weiterbildung ohne jahrelange Wartezeit in Angriff zu nehmen und ihr Potential zu entfalten.
Die Kosten für dieses bildungspolitische „Experiment“ sind natürlich enorm hoch. Deshalb versucht Ihr im Moment über Startnext bis zu 1,2 Millionen Euro einzusammeln. Wenn Euch das gelingt, wie wollt ihr das für die nächsten Jahrgänge managen?
Aufgrund der Kombination aus Online- und Offline-Studium kommen wir mit sehr geringen Kosten aus, die wir zunächst mithilfe der Hilfe von Spenden aus dem Crowdfunding finanzieren. Für die zukünftige Kostenfinanzierung legen wir großen Wert darauf, ein nachhaltiges Geschäftsmodell zu schaffen. Dafür erarbeiten wir einen umgekehrten Generationenvertrag, wie er zum Beispiel seit 20 Jahren (sehr erfolgreich) an der Universität Witten/Herdecke angeboten wird.
Der UGV entkoppelt das Studium von der Leistung der Beiträge durch unsere Studenten. Während der Bildungszeit werden die Kosten so von früheren Generationen vorfinanziert und nach dem Berufseinstieg kann dann ein eigener Beitrag geleistet werden.
Ehemalige Studenten der Kiron University können uns einen Teil ihres Einkommens zur Verfügung stellen, um einerseits der nächsten Generation ein Studium zu ermöglichen und um andrerseits Flüchtlingsprojekte im Gastland sowie den Wiederaufbau in Ihren Heimatländern zu unterstützen. Für die Flüchtlinge entstehen jedoch weiterhin keine direkten Kosten und es werden keine Studiengebühren erhoben.
Wenn du Angela Merkel treffen würdest, was würdest du Ihr sagen?
Zuerst einmal würde ich Frau Merkel gerne für ihre offene und menschliche Haltung in der aktuellen Flüchtlingsherausforderung danken wollen. Die Narrative, die sie bedient, hätte ich so ehrlich gesagt nicht erwartet. Dennoch bleiben auf der Handlungsebene eine Vielzahl an Herausforderungen zur nachhaltigen Integration von Flüchtlingen. Auch oder gerade weil wir eine größere Zahl an Flüchtlingen aufnehmen, verschärfen sich die Hürden für den Einstieg ins Bildungssystem und damit letztendlich den besten Weg für ehrliche Integration.
Ich würde Frau Merkel bitten, in ihrer Rhetorik vor allem die Chancen der aktuellen Flüchtlingsherausforderung für unser Land stärker zu betonen und langfristige Maßnahmen auf der Handlungsebene zu ergreifen. Gerade studierende Flüchtlinge sind Meinungsbildner in den engmaschigen Netzwerken unter Flüchtlingen. deshalb ist es besonders wichtig die gesetzlichen Rahmenbedingungen für den Zugang zu Hochschulbildung für Asylbewerber, Geduldete und alle anderen Aufenthaltstitel einfacher zu gestalten. Auch müssen für die deutschen Hochschuleinrichtungen zusätzliche Finanzierungen für Flüchtlinge geschaffen und alternative Projekte wie die Kiron University z.B. im Bereich digitale Sprachkurse unterstützt werden.