monagooMAG war 2014 im Interview mit Anna-Mara Schön von ShoutOutLoud e.V.! ShoutOutLoud engagiert sich vor allem gegen die Lebensmittelverschwendung und den Konsum von weniger Plastik. Denn beide Themen haben einen großen, negativen Einfluss auf unsere Umwelt und sind Produkte unserer exzessiven Konsumwelt, die uns jedes Maß der Dinge haben verlieren lassen. Bei ihren unterschiedlichen Aktionen kooperieren sie mit verschiedenen Vereinen, Initiativen und Akteuren. Um zu erfahren, wie abhängig wir wirklich in unserem täglichen Leben von Plastik, vor allem von Verpackungen, sind, haben zwei ihrer Mitglieder – Anna-Mara und Kenan – einen Selbstversuch in ihrem gemeinsamen Haushalt in Frankfurt gewagt: Einen Monat leben, ohne Plastikmüll zu produzieren.
Liebe Anna, von den vielen Themen, die Ihr als Verein anpackt, warum war Dir das Thema plastikfrei so wichtig?
Wenn man sich vor Augen führt, wie viele Produkte konsumiert werden, die eigentlich nur für den Müll produziert werden, gleichzeitig aber sehr negative Auswirkungen auf unsere Umwelt haben, muss man einfach anfangen, umzudenken und dementsprechend zu handeln. Plastik ist ein großer Bestandteil dieser Müllproduktion. Sehr viele Konsumgüter sind unnötigerweise in Plastik verpackt, oft doppelt und dreifach. Das Schlimme dabei ist, dass die Recyclingmöglichkeiten selbst in Deutschland noch sehr begrenzt sind und auch hier viel Plastik am Ende in unseren Gewässern landet, wo es von den dort heimischen Lebewesen gefressen wird. Da diese das Gefühl von Sättigung bekommen, fressen sie nicht weiter und verhungern mit vollem Magen. Außerdem kommt so der Plastikmüll in unseren Nahrungsmittelkreislauf und schlägt sich somit auch auf unsere Gesundheit nieder. Mit unserem plastikmüllfreien Monat wollten wir selbst erfahren, ob und wie man in der Großstadt leben kann, ohne Plastikmüll zu produzieren, auf wie viel und vor allem welche Produkte man verzichten muss und welche Alternativen tatsächlich vorhanden sind.
Plastik wird heutzutage inflationär benutzt, es ist einfach überall und oftmals versteckt. Butterpapier enthält z.B. auch Plastik, genauso wie der Korkenschutz der Weinflasche.
Derzeit entsteht in Berlin der erste unverpackt-Supermarkt. In Frankfurt gibt es noch nichts in dieser Richtung. Wie hast Du Dich auf den Monat vorbereitet und wie funktionierte die Umsetzung? Können wir schon (wieder) 100% plastikfrei leben?
Ich habe ca. 3 Wochen davor angefangen, mich intensiver mit dem Thema auseinanderzusetzen. Wir haben allerdings bewusst darauf verzichtet, Lebensmittel oder Verbrauchsgüter auf Vorrat einzukaufen. Es ging uns auch nur darum, keinen Plastikmüll mehr zu produzieren, vorhandenes Plastik, was keinen kurzfristigen Müll produziert, haben wir weiter benutzt. Dazu gehörte bspw. der Wasserkocher, der schon da war, aber natürlich irgendwann kaputt gehen kann und dann zu Plastikmüll wird. Auf Verbrauchsgegenstände wie bspw. Putzmittel haben wir allerdings verzichtet, da hier relativ schnell Plastikmüll anfällt. Unsere selbst auferlegten Regeln waren relativ streng. Selbst auf Lebensmittel in der Flasche, wie bspw. Öl oder Bier mit Kronkorken, haben wir weitgehend verzichtet, da diese eine Plastikdichtung im Deckel haben. Die einzige Ausnahme war Milch, weil ich darauf einfach nicht verzichten wollte. Auch Gewürze haben wir nicht ohne Plastik gefunden – lediglich Salz gab es. Im Februar – unserem plastikmüllfreien Monat, wo es kaum frische (regionale) Kräuter gibt, war das Würzen eine echte Herausforderung. Übrigens war auch die Online-Bestellung tabu, da Klebeband auch aus Plastik besteht, von daher mussten wir tatsächlich auf Güter aus unserer Umgebung zurückgreifen. Plastikpartikel in Etiketten haben wir allerdings nicht dazugezählt, weil wir sonst überhaupt nichts hätten konsumieren können.
Insgesamt haben wir festgestellt, dass es extrem schwierig ist, plastikfrei zu leben. Es geht ja nicht nur ums Essen, sondern auch um Hygieneartikel, wie Toilettenpapier, Damenbinden und Tampons, diverse Putzmittel sowie sonstige Güter, die man ab und zu kaufen bzw. ersetzen muss. Plastik wird heutzutage inflationär benutzt, es ist einfach überall und oftmals versteckt. Butterpapier enthält z.B. auch Plastik, genauso wie der Korkenschutz der Weinflasche.
Was setzt Du nun nach dem Versuch im Alltag noch um?
Wir achten immer noch sehr stark auf unseren Plastikkonsum. Bspw. bekommen wir seitdem eine regionale bio Obst- und Gemüsekiste. Wo man es leicht vermeiden kann, vermeiden wir es eigentlich immer. Jedoch muss man ständig Kompromisse eingehen, wenn man parallel auf andere Kriterien, wie Regionalität und bio achtet. Kauft man lieber die regionale Milch aus Hessen in der Plastikverpackung oder die Alpenmilch aus der Flasche? Kölln-Flocken in der Wachsverpackung oder die Bio-Flocken in der Plastiktüte? Bio-Käse, der extra in Plastikfolie eingewickelt wurde oder konventionellen Käse im Käseladen, den man in seine mitgebrachten Gefäße verpacken lassen kann?
Es sind ständig Zielkonflikte, mit denen man sich auseinandersetzen muss. Ganz ehrlich, Einkaufen war früher einfacher. Aber je mehr man sich Gedanken macht, desto schwieriger wird der Konsum im Allgemeinen.
Manchmal wird man auch mal schwach, vor allem wenn es keine oder nur schwer beziehbare Alternativen gibt, wie bspw. Quark. Ich habe zwar Quark im Glas gefunden, der auch über unsere Biokiste zu beziehen ist, allerdings muss man den frühzeitig bestellen, was wir nicht immer schaffen. Auch in Situationen, in denen man sich nicht zu Hause ernähren kann, wie auf langen Fahrradtouren, wo man schnelle Energiequellen wie Müsliriegel benötigt, sind schwierig. Solche Produkte sind leider immer in Plastik verpackt und auch wenn man sie selbst macht, sind die Rohstoffe nicht oder nur schwer plastikfrei erhältlich, wie bspw. geschälte oder gemahlene Nüsse.
Seit dem plastikmüllfreien Monat benutze ich allerdings viel weniger bzw. alternative Hygieneartikel, weniger Creme, Seife und Shampoo am Stück, Frauenartikel zum Waschen und Wiederverwenden (z.B. den Moon Cup – sehr empfehlenswert) und kaum bis kein Make-up mehr. Auch auf Artikel mit den für die Umwelt so gefährlichen Mikroplastikpartikeln verzichte ich komplett. Dazu hat der BUND eine relativ ausführliche Liste veröffentlicht, die man auf der Homepage der Umweltschutzgruppe finden kann. Diese Umstellung fiel mir doch sehr leicht, man spart viel Geld und braucht weniger Zeit im Bad.
Außerdem habe ich mir ein modernes Haushaltsbuch mit alten Tipps „von Oma“ (Arnika und Bohnerwachs) gekauft, in dem viele chemie- und plastikfreie Alternativen zum Selbstmachen zu finden sind. Gerade bei Wasch- und Putzmitteln ist es gar nicht notwendig, die oft teuren Produkte zu kaufen. Mit wenigen Mitteln kann man schnell und einfach selbst gutes Putzmittel herstellen.
Zusätzlich haben wir viele Plastikprodukte entsorgt, wie bspw. Schneidebretter und Schüsseln aus Plastik und sie mit Salatschüsseln, Bretter und Brotdosen aus Bambusfasern und/oder Mais ersetzt. Auch füllen wir nun sehr viele Lebensmittel in einfache Gläser mit Schraubverschluss um, was auch unseren Glasmüll drastisch verringert.
Was rätst Du uns als ersten Schritt, um den Plastikkonsum zu reduzieren?
Am besten ist, wenn man sich eine Ecke im Haus vornimmt und dort beginnt, wie bspw. das Badezimmer oder die Küche. Gerade wenn man nicht so viel Geld hat, kann die Umstellung auf weniger Plastik teuer werden. Der Anspruch sollte nicht sein, von heute auf morgen sein ganzes Leben umzukrempeln. Man sollte einfach mehr darauf achten, was man wann wie und wie oft benutzt.
Wo es einfach ist, wie beim Kauf von Obst und Gemüse, kann man gleich beginnen und wo es ein bisschen mehr Zeit und Geld kostet, kann man sich Zeit lassen und in Ruhe nach für einen selbst geeigneten Ersatzprodukten suchen. Je mehr man darauf achtet, seinen Konsum umzustellen, desto mehr Ersatzprodukte fallen einem dann auch automatisch auf.
Ein anderes Anliegen ist die Vermeidung von unnötigem Wegwerfen noch guter Lebensmittel. Wie geht Ihr vor? Wie könnt Ihr andere überzeugen?
Der Durchschnittsdeutsche wirft pro Jahr ca. 82 kg an Lebensmitteln weg. Das ist eine unglaubliche Menge. Bei uns zu Hause werfen wir tatsächlich nur sehr selten Lebensmittel in den Müll. Das liegt daran, dass wir uns sehr intensiv mit diesem Thema beschäftigen, nur einkaufen, was wir selbst essen können und nicht auf Mindesthaltbarkeitsdaten achten. Der einfachste Test, um die Verwendbarkeit von Lebensmitteln feststellen zu können ist schauen, riechen, schmecken. Der Körper sagt einem dann schon, ob Lebensmittel noch genießbar sind oder wirklich entsorgt werden müssen. Auch die richtige Aufbewahrung ist wichtig. Stellt man beispielsweise den Lauch in ein Glas Wasser, hält er ewig und wächst sogar noch weiter. Im Kühlschrank sollte man die unterschiedlichen Temperaturzonen richtig nutzen und Kartoffeln bspw. kühl und dunkel lagern, dann halten sie länger und treiben weniger schnell. Und selbst wenn sie schon Triebe haben, kann man diese Stellen einfach rausschneiden und die Kartoffel trotzdem noch genießen.
Beim Einkauf sollte man nie hungrig durch die Läden streifen, weil man dann oft Dinge kauft, die man im Nachhinein nicht mehr möchte oder schafft. Viele Menschen berichten mir auch, dass sie Essen wegwerfen, weil sie plötzlich keinen Appetit mehr drauf haben. Kauft man natürliche, also nicht industriell gefertigte Lebensmittel, kann man sie sehr vielseitig verwenden und variieren. Für mich zählt das Argument, dass man auf etwas keinen Appetit hat nicht. Denn man kann Vieles ohne großen Qualitätsverlust einfrieren oder konservieren und so zu einem späteren Zeitpunkt konsumieren. Alles was dazu gehört ist ein bisschen Kreativität, Flexibilität und Improvisation.
Was sind Eure Ausblicke für die Zukunft? Wie können Euch andere unterstützen?
Wir möchten gerne mehr Bewusstsein schaffen für unsere Themengebiete „plastikfrei(er) Leben“ und „Kein Essen für die Tonne“. Bspw. haben wir den „Wir machen mit: Kein Essen für die Tonne“-Aufkleber, der Lebensmittelläden ausweist, die sich gegen die Lebensmittelverschwendung engagieren und darauf achten, selbst möglichst wenig wegzuwerfen. Unsere Vision ist, dass in ganz Deutschland diese Initiative bekannt wird und so die Verbraucher ein Gefühl dafür bekommen, welcher Laden gegen den drittgrößten CO2 Emittenten – die Lebensmittelverschwendung – etwas tut und somit ein Zeichen setzt, für die Zukunft unserer Kinder, die Umwelt und auch gegen den Hunger in der Welt, der ja zum großen Teil auf Grund steigender bzw. volatiler (schwankender) Lebensmittelpreise verursacht wird.
Außerdem planen wir für unsere „Plastikfrei-Kampagne“ Aktionen, wie einen Aufruf zum „Plastikfasten“, einen Bürgerantrag gegen die Plastiktüte und einen Einkaufsführer für plastikfreie Produkte im Rhein-Main Gebiet. Hierfür benötigen wir Input, denn wir können alleine gar nicht alle plastikfreien Produkte erfassen, wir können sie aber sammeln und veröffentlichen.
Übrigens, kann man auf unserem Blog „keinplastikfuerdietonne.wordpress.com“ mehr über unsere Erfahrungen zum Thema plastikmüllfreien Monat nachlesen.
Vielen Dank, Anna, für diese Einblicke! Bitte beschreibe doch zum Abschluss in einem Satz, was in Deinem Alltag für eine bewusste Lebensweise und Lebensqualität steht…
Sich mehr Gedanken über seinen eigenen Konsum machen und sich eigentlich bei jedem Konsumgut fragen, ob und warum man es kaufen möchte. Für mich steigert bewusster Konsum auch die Lebensqualität.
Wir freuen uns über jede Nachricht über Läden, die wenig bis nichts wegwerfen, damit wir diese ansprechen können. Auch wenn jemand Lust hat, selbst Aufkleber in seiner Stadt zu verteilen, kann er uns gerne über www.shoutoutloud.eu bzw.info@shoutoutloud.eu kontaktieren.
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Noch bevor der Blog von Monagoo geschlossen wurde, konnten wir die tollsten und spannendsten Artikel retten. In unserer Reihe werden wir Euch in regelmäßigen Abständen unsere Errungenschaften präsentieren.