Die G8-Staaten haben die Social Impact Investing Taskforce gestartet. Dr. Brigitte Mohn, seit dem 1. Januar 2005 im Vorstand der Bertelsmann Stiftung, koordiniert das National Advisory Board (NAB). Die Stiftung, die von ihrem Vater Reinhard Mohn gegründet wurde, tritt für gesellschaftlichen Fortschritt durch bürgerschaftliches Engagement und Wettbewerb ein. Darüber hinaus ist Frau Dr. Mohn Vorsitzende des Kuratoriums der Stiftung Deutsche Schlaganfall-Hilfe, Aufsichtsratsmitglied der Bertelsmann AG und Gesellschafterin der Bertelsmann Verwaltungsgesellschaft mbH. Das Interview führte Christina Moehrle.
Die Social Impact Investing Taskforce (SIITF) wird auf deutscher Seite durch Sie und durch Susanne Dorasil vom Bundesministerium für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) vertreten. Wie kam es zu dieser Initiative und was ist ihr Ziel?
Dr. Brigitte Mohn: Die Initiative reicht eigentlich viel weiter zurück. Bereits im Jahr 2001 hatte die britische Regierung eine Social Investment Taskforce initiiert, die herausfinden sollte, inwieweit privates Investmentkapital für soziale Problemlösungen genutzt werden kann. Die britische Wirtschaft blühte damals, öffentliche Investitionen waren höher als je zuvor, es gab eine Aufbruchsstimmung im Land. Und doch war allen bewusst, dass Teile der Bevölkerung zurückgelassen wurden.
Die Taskforce wurde von Sir Ronald Cohen, dem Gründer einer großen Investmentgesellschaft, geleitet und entwickelte eine Reihe von Vorschlägen. Daraus sind beispielsweise der Dachfonds „Big Society Capital“ oder das Finanzierungsinstrument der „Social Impact Bonds“ hervorgegangen. Auch die steuerlichen und rechtlichen Rahmenbedingungen für Impact Investing wurden verbessert. Auf dem G8-Gipfel im Juni 2013 hat Großbritannien dann seine Ideen und Errungenschaften vorgestellt, die international für viel Aufmerksamkeit gesorgt haben. Im Anschluss entstand dann die SIITF mit je einem staatlichen und einem zivilrechtlichen Vertreter. Das Mandat ist, Empfehlungen herauszuarbeiten, wie internationale Märkte für Impact Investing gestärkt werden können – insbesondere durch Maßnahmen politischer Entscheidungsträger.
Die Sozialsysteme in den einzelnen G8-Staaten sind doch sehr unterschiedlich. Wie hat man dafür gesorgt, dass überhaupt ein Konsens entstehen kann?
Dr. Brigitte Mohn: Für jeden Staat wurde ein separates National Advisory Board (NAB) aufgesetzt, das die Taskforce über die regionalen Spezifika informiert und gleichzeitig das Thema Impact Investing im eigenen Land vorantreibt.
Stimmt es, dass das Verständnis der einzelnen Länder über (Social) Impact Investing zum Teil erheblich voneinander abweicht?
Dr. Brigitte Mohn: Ja. Über Definitionen und Abgrenzungen zu reden, hat uns in der Taskforce stark beschäftigt. Das Verständnis, mit dem wir jetzt alle arbeiten, orientiert sich an dem des GIIN (Global Impact Investor Network): Beim Impact Investing geht es um privates Investmentkapital, das eingesetzt wird, um eine soziale Problemlage zu bekämpfen, und dies in einer Art, die sehr direkt, intendiert und messbar ist und zumindest Kapitalerhalt oder sogar eine Finanzrendite ermöglicht. Für mich sind die entscheidenden Punkte dabei die sehr explizite Intention und die Verpflichtung zur Messung der sozialen Wirkung. Das steht im Gegensatz zu den nachhaltigen Geldanlagen, die sich lediglich an bestimmten Investitions-Themen orientieren oder Ausschlusskriterien setzen. Ein drittes, wichtiges Kriterium ist, dass beim Impact Investing auch konkret nach der sozialen Wirkung gehandelt wird.
Wie schwer war es, innerhalb des deutschen NAB zu diesem gemeinsamen Verständnis zu kommen? Haben Sie die teilnehmenden Akteure deshalb enger ausgewählt?
Dr. Brigitte Mohn: Nein. Wir haben absichtlich vermieden, mit einem festgezurrten Verständnis loszulegen. Die Bertelsmann Stiftung beschäftigt sich erst seit etwa zwei Jahren mit dem Thema Impact Investing – wir starteten im Juni 2012 mit dem ersten Expertengespräch zu diesem Thema in Deutschland. Insofern war es uns wichtig, für das NAB die deutschen Impact-Akteure zu rekrutieren, aber auch diejenigen mit ins Boot zu holen, die für dieses Thema erst noch gewonnen werden müssen. Ich nenne sie gerne die Konvertierten und die Nicht-Konvertierten. Die Wohlfahrtsverbände sind mit der Caritas, dem Deutschen Roten Kreuz und der Diakonie vertreten. Zudem haben wir Stiftungen eingeladen, die sich für dieses Thema interessieren oder sogar schon als Impact Investoren auftreten, beispielsweise die Eberhard von Kuenheim Stiftung, die BMW und die Vodafone Stiftungen. Auch die Wissenschaft, die sich mit Impact Investing beschäftigt, wollten wir integrieren. Professor Schäfer von der Universität Stuttgart und Jun. Prof. Dr. Barbara Scheck von der Universität Hamburg sind mit dabei, um nur einige zu nennen. Und schließlich sind die Deutsche Bank und die GLS Bank im NAB vertreten. Die Liste ist recht lang. Wir haben bewusst ein großes Board mit einer guten Mischung aufgebaut – ein pluralistischer Ansatz. Es sind auch solche Akteure dabei, die dem Impact Investing skeptisch oder sogar kritisch gegenüberstehen.
Welchen Eindruck haben Sie vom Rückstau an sozialen Innovationen in Deutschland gewonnen? Wird Impact Investing dahingehend als Ergänzung oder als Konkurrenz zum System gesehen?
Dr. Brigitte Mohn: Das ist eine wirklich wichtige Frage. Wir haben im NAB viel Energie darauf verwendet, Impact Investing in das deutsche Finanzierungssystem einzuordnen. In Deutschland gibt es für die Umsetzung und Finanzierung bestimmter sozialer Leistungen eine rechtliche Grundlage. Unsere Idee war es, zwischen einem inneren und einem äußeren Ring zu unterscheiden. Der innere Ring ist die Regelfinanzierung durch die öffentliche Hand oder die Sozialversicherungsträger. Dort geht es weniger um das Problem der verfügbaren Mittel, sondern um Effizienz und Effektivität. Um diesen inneren Kreis herum existiert aber ein weiterer Ring, der sich mit sozialer Prävention, Innovation und Skalierung beschäftigt. Hier geht es darum, Kosten langfristig einzusparen und neue Ideen zu erproben. Wir argumentieren, dass wenn Impact Investing in Deutschland eine größere Rolle spielen kann und soll, dann genau hier, in der Verstärkung dieses äußeren Ringes, wo die Finanzierungsmittel und somit die Handlungsanreize deutlich eingeengt sind.
Sprich: Impact Investing als komplementärer Finanzierungsbaustein.
Dr. Brigitte Mohn: Absolut. Die Wohlfahrtsverbände sind der festen Meinung, dass die Einbeziehung privaten Investitionskapitals nicht die sogenannten „notwendigen Leistungen“ ersetzen darf. Und sie haben Recht. Wir müssen also zeigen, wie dieser äußere Ring den inneren stärkt. Der soziale Sektor enthält bereits viel privates Kapital. Die öffentlichen Leistungen ziehen schon profitorientierte Sozialunternehmer an, die ein Geschäftsmodell darauf aufbauen. Impact Investing kann dafür sorgen, dass weiteres privates Kapital in diesen äußeren Ring fließt, aber gezielter: dorthin, wo es dringend benötigt wird.
Mit anderen Worten: eine effizientere Verteilung?
Dr. Brigitte Mohn: Genau. An diesem Punkt wird es für den Staat nämlich interessant. Eine höhere Effizienz kann ihn dazu motivieren, entsprechende Anreize für Impact Investing zu schaffen.
Warum kommen soziale Innovation und Prävention in Deutschland eigentlich zu kurz?
Dr. Brigitte Mohn: In dem inneren Ring, der Regelfinanzierung, wirkt deutsches Sozialrecht überwiegend als individuelles Leistungsrecht. Wenn eine Person mit einem konkreten sozialen Problem konfrontiert ist und ein Anrecht auf staatliche Unterstützung hat, setzt sich automatisch eine Prozesskette in Gang. Das schließt die Finanzierung durch die öffentliche Hand mit ein. Bei allem, was davor geschieht – z.B. bei der sogenannten fallunspezifischen Arbeit – greift dieses System jedoch nicht. Hier müssen Sozialunternehmen eigene Modelle entwickeln und oft aus eigener Tasche finanzieren. Dabei stoßen sie regelmäßig auf massive Finanzierungslücken. Wenn wir Impact Investing also weiter entwickeln wollen, dann muss es genau an dieser Stelle ansetzen.
Ist dies in Ländern mit anderen Sozialsystemen wie beispielsweise Großbritannien einfacher, da es stärker auf privatwirtschaftliche Initiative setzt?
Dr. Brigitte Mohn: Teilweise. In Bezug auf die Impact Investors ist die Situation in den verschiedenen Staaten relativ einheitlich. Auf der Seite der Mittelverwendung aber, bei den Sozialunternehmern, herrschen erhebliche Unterschiede. Oberflächlich gesehen geht es bei Impact Investing eigentlich nur um eine Finanzierungsmethode. Doch daran knüpfen sich tiefgreifende Fragen an, beispielsweise wie die Aufgabenverteilung zwischen Staat und Privatwirtschaft aussehen soll. Wir bei der Bertelsmann Stiftung haben uns viel damit beschäftigt, wie man die Zivilgesellschaft für soziale Investitionen gewinnen kann. Impact Investing lässt sich ja auch so verstehen, dass Investoren die Möglichkeit erhalten, sich für ihre eigene Sozialwirtschaft einzusetzen, sie zu finanzieren, aber das Kapital auch zu recyceln und erneut einzusetzen.
So gesehen ist der Begriff Impact Investing nicht wirklich neu.
Dr. Brigitte Mohn: Richtig, jede Investition seit Menschengedenken hat eine soziale Wirkung. Ihre Dimension wurde nur nicht in die Investitionsentscheidungen mit einbezogen. Das hängt auch damit zusammen, dass wir nicht genau wussten, wie dies geschehen soll. Auch heute haben wir noch nicht alle Antworten auf die Frage nach der Wirkungsmessung parat.
Wie steht es mit den brennenden sozialen Themen: Haben die einzelnen Staaten unterschiedliche Prioritäten gesetzt?
Dr. Brigitte Mohn: Auf der SII-Taskforce ging es weniger um spezielle Themen – das macht bei acht Staaten auch wenig Sinn. Auf der deutschen Ebene haben wir die Diskussion jedoch konkreter gemacht und „Integration in Arbeit“ sowie „Leben im Alter“ als Themen vorgeschlagen. Bei Ersterem geht es insbesondere um junge Menschen, bei denen oft eine hohe Langzeitarbeitslosigkeit herrscht, die weitgehend konjunkturunabhängig ist und vor allem diejenigen mit fehlender Berufsausbildung trifft. Leben im Alter inklusive der Pflegeproblematik ist das Mega-Thema in Deutschland. Es gibt sehr viele Informationen darüber, aber noch keine effektiven Finanzierungslösungen. Darin liegt ein konkreter Anknüpfungspunkt für Impact Investing.
Apropos konkret: Die Ergebnisse des deutschen NAB sollen am 13. September 2014 veröffentlicht werden. Schlägt das NAB gezielte Aktionen zur Infrastruktur und zu bestimmten Markmodellen vor oder geht es eher um einen allgemeinen Wissenstransfer an die Entscheidungsträger?
Dr. Brigitte Mohn: Impact Investing ist noch so neu und unklar in Deutschland, dass allein schon die Empfehlung, wie es in das bestehende Finanzierungssystem eingeordnet werden kann, sehr wichtig ist. Das NAB will auf diese Weise Berührungsängste abbauen und die Debatte erleichtern, auch indem wir sie in gewisse Bahnen lenken. Das zu erreichen wäre schon ein Riesen-Erfolg. Darüber hinaus werden wir aber – im Gegensatz zum übergeordneten G8-Bericht – keine großen, plakativen Forderungen an den Staat stellen. Wir finden es gut, dass auf G8-Ebene mit einer solchen Power Maßnahmen gefordert werden, aber in Deutschland ist es wichtig, den richtigen Ton zu treffen. Uns geht es um Ideen zur Weiterentwicklung des Markts. Das sind zum Beispiel Handlungsoptionen für Stiftungen oder Vorschläge, wie man mehr Raum für Impact-Akteure wie FASE, Impact in Motion, BonVenture oder den Social Venture Fund schaffen kann, damit sich der Impact Investing-Markt entscheidend vergrößern kann. Aber auch Ideen, wie die öffentliche Hand sich beteiligen kann, z.B. indem sie die Risiken mit potentiellen Impact Investoren teilt. Wir wollen die Debatte aber eher anfeuern als sie mit einem harten Maßnahmen-Katalog abzuschließen.
Wer sind die Adressaten des deutschen NAB-Berichts: die Politik oder die breite Bevölkerung?
Dr. Brigitte Mohn: Dieser erste NAB-Bericht wendet sich bewusst an das breite Fachpublikum. Wir wollen sehen, wie die Reaktionen und Befindlichkeiten ausfallen. Das Thema Impact Investing lässt niemanden kalt. Wenn der Geist erst aus der Flasche ist, lässt er sich nicht mehr einfangen. Die Teilnehmer des NAB haben einen gewaltigen Drive, mit dem Impact-Thema voranzukommen. In welcher Form genau, das werden wir in den nächsten Wochen diskutieren und entscheiden.
Sie wollen also erst die Wellen beobachten, die der Bericht schlägt.
Dr. Brigitte Mohn: Richtig. Es besteht auch die Gefahr, dass es so aussehen könnte, als handle es sich nur um eine Erfindung aus dem angelsächsischen Raum. Doch das stimmt nicht. In Deutschland gibt es bereits viele Menschen, vor allem in der „Next Generation“, die Impact Investing und Social Entrepreneurship leben und umsetzen.
Bei welchen Investoren sehen Sie das größte Potenzial für Impact Investing?
Dr. Brigitte Mohn: Langfristig bei den Kleinanlegern, im sogenannten „Retail“-Bereich. Ich finde, diese Gruppe passt am besten zum Ethos von Impact Investing. Der Sinn liegt ja nicht darin, dass reiche Menschen nebenbei etwas Gutes tun und obendrauf noch eine Rendite dafür bekommen. Er liegt in der emotionalen Verbindung zwischen dem, wie und wo ich mein Geld anlege und was damit konkret bewirkt wird. Wenn ein Kleinanleger sein Geld bei einer Bank investiert und das dazu führt, dass die Obdachlosigkeit in seinem direkten Umfeld verringert wird und er regelmäßig einen Bericht darüber erhält, entspricht das viel mehr dem Ethos des Impact Investing. Das große Problem im Retail-Segment liegt jedoch – unabhängig von der derzeitigen Rechtslage – in der Risikoabsicherung.
Prokon und das Kleinanlegerschutzgesetz lassen grüßen.
Dr. Brigitte Mohn: Richtig, es ist noch ein langer Weg. Deshalb denken wir im NAB über die Entwicklung des Markts auch in verschiedenen Phasen. Am Anfang steht die Innovationsphase, in der Pioniere und Macher einfach loslegen und Hürden überwinden, ohne sich zu sehr um das System zu scheren. In der zweiten Phase macht es deutlich mehr Sinn, sich Gedanken zu diesem System zu machen und einen Proof of Concept zu erreichen – in einem ausgewählten Bereich. Ich nenne ihn gerne den „Testmarkt“. Ab einem gewissen Punkt muss man es einfach machen – das Thema in die Praxis umsetzen. Schließlich treffen beim Impact Investing drei Welten aufeinander, die sehr unterschiedliche Interessen haben und doch am Ende alle dasselbe wollen.
Um in der Fachsprache zu bleiben: Sie haben also das Gefühl, dass die SIITF und der NAB-Bericht einen nachhaltigen Impact erzielen werden?
Dr. Brigitte Mohn: Sie werden auf jeden Fall eine wichtige Debatte über Transparenz, Wirkungsanalyse und Ressourcenverteilung anstoßen. Und auch darüber, wie wir als Gesellschaft gemeinsam gegen soziale Probleme vorgehen. Impact Investing hat meines Erachtens ein riesiges Potenzial. Die Herausforderung besteht eher darin, die Brücke zwischen einer chronisch unterfinanzierten Sozialwirtschaft und einer Finanzwelt zu schaffen, die Trillionen Euro an Geldern verwaltet und oft nicht genau weiß, wohin damit. Das ist die eigentliche Logik des Impact Investing.
Ein Kommentar
Vielen Dank für das interessante Interview und es ist schön zu hören, dass in diesem Bereich Bewegung entsteht.
Leider ist es aber immer noch Fakt, dass Social Enterprises in Europa kaum/keine sozialen Investoren finden.
Ich arbeite für ein SE und reguläre Investoren haben zwar Interesse zu investieren, nur sind deren Renditeerwartungen mit einem SE nicht vereinbar, ohne beim Geschäftsmodell die sozialen Faktoren zu streichen.
Auch die im Interview genannten Stiftungen investieren nicht in SEs.
Schlussendlich wird immer in das nächste App/Internet-Start up investiert, welches üppige Renditen verspricht.
Hier benötigen wir keine Lippenbekenntnisse, sondern Investoren, die bereit sind Geld in die Hand zu nehmen.
Mit besten Grüßen.
Ein Social Enterprise, das auf der Suche nach sozial agierenden Investoren ist