In dieser Minute landet ein Lastwagencontainer voller Plastikmüll im Meer – genau wie in der letzten und der nächsten Minute. Trotzem wird im Laufe dieses Tages wieder eine Million Tonnen neuer Kunststoff produziert. Die junge Firma #tide stellt sich diesem Problem und bringt den Plastikmüll wieder zurück in den Wirtschaftskreislauf. Im Interview gewährt uns Co-Founder Marc Krebs einen spannenden Einblick hinter die Kulissen.
Worum geht’s bei #tide ocean material® und wie kam es zu Eurer Gründung?
#tide ocean material® ist ein Rohstoff, der aus Plastikmüll am Meer gewonnen wird und aus dem alle möglichen Kunststoffprodukte hergestellt werden können. Wir verstehen uns als weltweit erstes Label für nachhaltigen Einsatz von so genanntem Ozeanplastik: Wir sammeln auf Inseln und an Küsten in Südostasien und verhindern so, dass die Meere verschmutzt, die Tierwelt bedroht wird – und führen das Material in den Kreislauf zurück. Die Firma Tide Ocean SA wurde dann auch als Antwort auf eines der größten Probleme unserer Zeit ins Leben gerufen: die Plastikverschmutzung und ihre überwältigenden Auswirkungen auf die Umwelt, Gesellschaft und die Ökosysteme der Ozeane.
Alles begann vor einigen Jahren auf einer Reise nach Thailand. Thomas Schori, unser Gründer, war schockiert als er sah, wie groß das Problem der Plastikverschmutzung tatsächlich ist. Er beschloss, etwas dagegen zu tun. Als Geschäftsführer der Braloba SA, einem weltweit führenden Hersteller von Uhrenbändern, dachte er sich: „Was wäre, wenn wir das Plastik aus dem Meer für die Herstellung von Uhrenbändern verwenden könnten?“
Thomas Schori schloss sich mit Professor Daniel Schwendemann zusammen, der wissenschaftliche Studien zur Verarbeitung von Meeresplastik durchführen ließ. Mit dem Institut für Werkstofftechnik und Kunststoffverarbeitung an der Ostschweizer Fachhochschule entwickelte man gemeinsam eine mechanische Methode – das heißt, ohne die Beifügung von Chemikalien. Mit dieser lässt sich ozeangebundener Plastikabfall regenerieren und zu einem wertvollen Rohmaterial verarbeiten. Als die Machbarkeit gegeben war, gründeten wir das neue Unternehmen Tide Ocean SA.
Bei #tide geht es aber nicht nur um Umwelt, Schutz der Meeresfauna und -flora und um Recycling. Es geht auch um die Menschen, die ebenso von der Plastikverschmutzung betroffen sind. Wir zahlen den Fischerfamilien faire Löhne für ihre Arbeit, arbeiten mit Sozialunternehmen und Stiftungen zusammen und machen uns stark für lokale Communities in Thailand: Wir geben Plastikabfall einen Wert – und die Umwelt wie auch die Menschen können davon profitieren.
An welche Zielgruppen richtet sich das Angebot von #tide hauptsächlich und warum?
Unsere Zielgruppe ist schlicht: die gesamte Menschheit. Wem liegt der Zustand unseres Planeten und die Erhaltung unserer Ozeane schon nicht am Herzen? Unser upcyceltes Material lässt sich in allen möglichen Alltagsgegenständen verwenden.
Wir sind überzeugt, dass die Weltgemeinschaft den Umgang mit Ressourcen ändern muss, wenn wir eine Umwelt- und Klimakatastrophe verhindern wollen. Man muss sich mal vorstellen: Jede Minute landet ein Lastwagencontainer voller Plastikmüll im Meer, täglich wird eine Million Tonnen neuer Kunststoff produziert, aus fossilen Energien wie Öl. So können wir nicht weitermachen. Deshalb wollen wir mit #tide so viele Menschen wie möglich erreichen. Es gibt genügend Kunststoff, wir müssen keinen neuen mehr produzieren, sondern das nutzen, was schon existiert.
Mit der Verwendung von rezykliertem Kunststoff kann jede/r seinen Beitrag leisten, ebenso mit dem Kauf nachhaltiger Produkte aus unserem Material. Solche Signale ermutigen weitere Firmen, umzusatteln. Denn wir sind überzeugt, dass der Kreislaufwirtschaft die Zukunft gehört. Plastikabfall ist eine wertvolle Ressource, wenn man weiß, wie man sie wieder aufbereiten kann. Aus Wegwerfplastik machen wir Granulat, Garne und Filamente, die für die Produktion nachhaltiger Waren verwendet werden kann: Mit unserem rezyklierten Rohstoff #tide ocean material® lässt sich dieselbe Qualität erreichen wie mit neuem Kunststoff.
Welche Hürden musstet Ihr bisher überwinden und vor welchen Herausforderungen steht Ihr aktuell?
Wie zahlreiche andere Unternehmen waren auch wir von der Pandemie insofern betroffen, als sich einige Projekte unserer Partner zeitlich verschoben haben. Auch die Transportpreise sind in jüngster Zeit in die Höhe geschnellt, was für Unternehmen auf globaler Ebene eine echte Herausforderung ist. Jetzt beginnen die Dinge für uns wieder einen normalen Verlauf zu nehmen. Wir haben zahlreiche vielversprechende Projekte, auf die wir sehr gespannt sind. Erste Resultate kamen bereits in diesem Jahr auf den Markt: Bikinis, Uhren, Handyhüllen, Sportböden, Schmuck und Taschen von Brands aus den USA, Italien, Frankreich oder der Schweiz.
Wie steht es um Eure Finanzierung? Schreibt Ihr durch den Verkauf Eurer Produkte bereits schwarze Zahlen?
Wir sind noch nicht ganz an diesem Punkt angelangt, aber zuversichtlich, dass wir im dritten Jahr in die Gewinnzone kommen. Bis jetzt ist #tide stetig und organisch gewachsen. Das zeigt uns, dass wir mit Sicherheit auf dem richtigen Weg sind, das erste weltweite Label für verantwortungsvollen Plastikkonsum zu werden. Um dieses Ziel noch schneller zu erreichen, bereiten wir eine Series A-Investitionsrunde vor.
Welche Strategien verfolgt Ihr in der nahen Zukunft? Und wo seht Ihr Euch langfristig?
Für uns ist es entscheidend, so transparent wie möglich zu sein. Wir wollen zeigen, dass #tide ocean material® ein vertrauenswürdiges Label ist. Deshalb entwickeln wir derzeit Blockchain-Lösungen, sodass die Aktivitäten in der Lieferkette noch einfacher zurückverfolgt werden können.
Mittel- bis langfristig möchten wir auf jedem Kontinent der Welt ozeangebundenen Kunststoff aufbereiten, um Transportwege noch kürzer zu halten. Wir arbeiten heute schon mit Brands aus Japan, den USA, Italien, Frankreich oder Korea zusammen. Diese sehen uns ebenfalls als vertrauensvolle Source und tragen dazu bei, #tide ocean material® zum ersten weltweiten Label für verantwortungsvollen Plastikkonsum zu machen.
Welche Learnings habt Ihr aus Euren ersten Geschäftsjahren mitgenommen? Was würdet Ihr anderen Gründern mit Geschäftsmodellen rund um die Circular Economy mit auf den Weg geben?
Verzögerungen akzeptieren und Geduld haben. Ein gesellschaftlich gewünschter Wandel lässt sich in der globalen Ökonomie nicht innert weniger Monate herbeiführen. Zudem muss man mit der Skepsis, die einem bei innovativen Ideen immer auch entgegenschlägt, umgehen, indem man den Proof of Concept mitunter bei Produktentwicklungen selber liefert, statt diesen externen Playern zu überlassen, die nicht immer Lust haben auf Innovation.
Was wir jedem raten, der ein Unternehmen nach dem Modell der Kreislaufwirtschaft gründen möchte: Die Aktivitäten seines Unternehmens so transparent wie möglich zu gestalten, um Vertrauen zu schaffen. Zudem geht es auch darum, die sozialen und ökologischen Vorteile der Kreislaufwirtschaft aufzuzeigen. Dieses Wirtschaftsmodell ist der einzige Weg in die Zukunft.
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