“Es ist schwieriger, in kleinen Dimensionen zu denken als in großen”, startete Arne Bleckwenn vor kurzem seinen Impulsvortrag über das Gebot der Skalierung für Sozialunternehmer. In einem vollgepackten Event in Berlin erweckte der Serien-Unternehmer und Gründer des e-Learning Startups EIDU den berühmten Geist des “größer ist besser” und lieferte spannende Argumente dafür, dass Skalierung eigentlich viel einfacher ist als angenommen.
Und er hat sicher einen Punkt: In größeren Dimensionen zu denken kann Sozialunternehmern helfen, globale gesellschaftliche Herausforderungen besser zu adressieren, weniger Wettbewerb um sich herum zu scharen, einfacher an Wachstumskapital heranzukommen und schneller Fehler zu machen, um das Lerntempo anzukurbeln. Eine Analyse des Miller Center for Social Entrepreneurship von mehr als 100 Sozialunternehmen kommt zu demselben Schluss: “Seid schnell und macht – Tempo hat einen riesigen Stellenwert, wenn ihr skaliert”. Aber ist das auch der passende Wunsch für jeden passionierten Social Entrepreneur?
Skalierung für Sozialunternehmer – ein zweischneidiges Schwert?
Bright Simons, Gründer des Sozialunternehmens mPedigree, hat da eine andere Meinung. In seinem spannenden Blog deckt er ein seltsames Paradoxon auf: Lässt man den Geist der Skalierung aus der Flasche, kann das die eigene Innovationskraft lähmen. Besonders mutige soziale Interventionen, so argumentiert er, hätten eine sehr konkrete und sichtbare Wirkung und wären deshalb auch einfacher zu skalieren. Andererseits böten sie aber auch sehr viel Angriffsfläche wegen ihrer unvermeidlichen negativen Nebeneffekte. Deshalb entschlössen sich manche Sozialunternehmer lieber dazu, risikoscheu und weniger experimentierfreudig zu sein und somit die Innovation auf dem Altar der Skalierung zu opfern. Bedeutet mehr Wachstum also weniger Systemwandel?
Die Scalerator Challenge
Die Finalisten von Scalerator, einem einjährigen, von Roots of Impact, dem Social Impact und Impact Collective initiierten Unterstützungsprogramm für Skalierer, haben kein Problem mit “größer ist schöner”. Frederic Goldkorn, Gründer und CEO von Querfeld, hat eine bewusste Entscheidung getroffen: Er will ein verkrustetes System attackieren, dass massiv Lebensmittel verschwendet. “Wir wollen skalieren, damit wir unseren Impact so schnell wie möglich auf ganz Europa ausweiten können”. Querfeld rettet vom klassischen Großhandel verschmähtes Obst und Gemüse, indem es die B-Ware direkt von den Bauern an große Kantinen liefert. Eine wesentliche Herausforderung dabei ist es, ein effizientes Logistik-Management sowie die Qualitätssicherung der schnell verderblichen Ware auf die Beine zu stellen. “Für die Skalierung brauchen wir unbedingt eine standardisierte Lösung, die in jeder Region funktioniert”, fasst Frederic den nächsten wichtigen Schritt auf seiner unternehmerischen Reise zusammen. “Wir sind noch dabei herauszufinden, mit welcher Technologie wir das zu 100 Prozent hinbekommen.”
Für den Programm-Kickoff in Berlin hatten die Scalerator-Partner drei Sozialunternehmer als Finalisten ausgewählt, die nach gezielten Workshops mit Mentoren, gemeinsamem Lösungs-Tüfteln mit Gleichgesinnten und einem engagierten Pitch vor Experten angetreten sind, sich das Programm im Wert von 50.000 EUR unter den Nagel zu reißen. Die Stimmung war definitiv euphorisch. “Wir haben tolle Ratschläge aus sehr verschiedenen Blickwinkeln bekommen und mehrere Aha-Momente erlebt. Jetzt wissen wir viel besser, wie wir die nächsten Schritte angehen müssen”, fasst Matthias Gilch, Mitgründer von Linguedo, den spannenden Tag zusammen. Anna Dremel von CLIMB war besonders dankbar für kritische Fragen von Mentoren, die ihr dabei geholfen habe, „aus der üblichen Blase herauszukommen und neue Ideen zu kreieren“. Und die Mentoren und Jury-Experten selbst? Nach einschlägigen Erfahrungen mit ihren eigenen Skalierungs- Abenteuern sind sie sich über die eingebauten Fallstricke mehr als bewusst. Was sind also die wichtigsten Inhalts- und Gefahrenstoffe im Flug-Menü für Sozialunternehmer?
1. Seid vorsichtig, was ihr euch wünscht
Sana Kapadia, Impact Investment Manager bei Roots of Impact, hat bereits viele Skalierungs-Herausforderungen rund um den Globus erlebt: “Man muss unbedingt dafür sorgen, dass alle bewährten Prozesse, Best Practices und Impact-Strukturen weiterhin funktionieren und man die Gefahr eines Mission Drift im Griff hat.“ In ihrer zweiten Rolle als Chief Impact Advisor bei Spring Activator, einem in Kanada beheimateten Accelerator, hat sie einige Sozialunternehmer angesichts dieser speziellen Art des Wachstums straucheln sehen. “Skalierung ist nicht für jedermann“, weiß sie aus Erfahrung. „Sie erfordert ein tragfähiges Geschäftsmodell mit starker Marktorientierung, eine solide Nachfrage und ein messerscharfes Bewusstsein darüber, wie sich die berühmten Unit Economics in verschiedenen Wachstumsszenarien entwickeln werden“.
Dirk Mueller-Remus, Gründer von Auticon und Mentor während des Events, hatte noch weitere wertvolle Ratschläge für Sozialunternehmer parat. “Die Wahrscheinlichkeit eines Scheiterns ist recht gering, wenn man mit Leidenschaft für die Idee brennt und trotzdem betriebswirtschaftliche Anforderungen wie Finanz- oder Liquiditätsplan versteht und umsetzt. Dennoch kann es manchmal eng werden. Skalierung ist der Moment, wo man Mut, Kreativität und gutes Verhandlungsgeschick beweisen muss, um einerseits groß zu denken und andererseits realistisch die Konsequenzen des Wachstums einzuschätzen. Wichtig ist immer die Besinnung auf die Kernidee und Botschaft des Unternehmens.“ Auticon, das er 2011 gegründet und bis 2013 geleitet hat, beschäftigt ausschließlich Erwachsene im Autismus-Spektrum als ICT-Berater und ist mit 200 Angestellten in 7 Ländern zu einem Paradebeispiel für sozialunternehmerische Skalierung geworden.
2. Wählt euren Flaschengeist mit Bedacht
Nicht jeder Sozialunternehmer scheint Aladdin und ein Naturtalent für Skalierung zu sein. Für diejenigen, die es sind, empfiehlt es sich aber auch, die helfenden Geister sorgsam auszuwählen. Sébastien Martin, Gründer des deutschen Accelerators Impact Collective, bringt seine Weisheit mit einem Augenzwinkern auf den Punkt: “Vertraut nicht zu sehr den Experten, vertraut euch selbst“. Aus seiner Sicht geht es bei
einem guten Mentoring darum, die Köpfe der Sozialunternehmer für verschiedene Perspektiven zu öffnen und konkrete Handlungsoptionen zu kreieren, nicht aber ihnen zu sagen, was sie tun sollen. „Sozialunternehmer wissen oft nicht, was sie nicht wissen. Sie haben blinde Flecken. Ein guter Mentor kann die richtige Frage zur richtigen Zeit stellen.“
Christian Schellenberger, erfahrener Unternehmer und Mentor, ist ebenfalls davon überzeugt, dass es super hilfreich für den Skalierungserfolg sein kann, versierte Mentoren zu befragen. Er weiß jedoch auch um die andere Seite der Gleichung: “Ein Sozialunternehmer muss bereit sein, das übliche Denkschema zu verlassen und sein Ego zur Seite zu stellen. Eine unternehmerische Kernkompetenz ist die, das eigene Geschäftsmodell so früh wie möglich mit der Zielgruppe zu testen und so schnell wie möglich anzupassen, wenn es nötig sein sollte.”
3. Reflektiert euer Tempo(-limit)
Neben den richtigen Fähigkeiten, Helfern und Denkmustern, scheint das perfekte Timing ganz oben auf der Liste zu stehen. Das Miller Center for Social Entrepreneurship fasst die Ergebnisse seiner Studie über Skalierung für Sozialunternehmer jedenfalls wie folgt zusammen: „Vorzeitige Skalierung — also der Versuch, aggressiv zu wachsen bevor das eigene Geschäftsmodell robust genug ist, um die Härte des massiven Wachstums auszuhalten – ist einer der wesentlichen Gründe für Scheitern“. Nur 10% der Sozialunternehmer würden die Skalierung erfolgreich meistern. Das ist der Grund, warum Frederic Goldkorn sich des richtigen Wachstumstempos für Querfeld vollauf bewusst ist. “Wenn wir zu schnell sind, kann uns das viel Glaubwürdigkeit kosten. Sind wir zu langsam, können wir nicht den Impact generieren, den wir wollen”.
Und die Moral von der Geschicht? Reibt an der Lampe nicht – bevor ihr nicht genau darüber nachgedacht habt. Gute Vorbereitung zahlt sich aus, wenn man dem Flaschengeist seinen Wunsch nach Skalierung aufträgt.
Das Scalerator-Programm ist Teil des Interreg Projects Social(i)Makers
Autorin: Christina Moehrle (Roots of Impact) / Fotos: Copyright Melanie Akerboom
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