Jedes Jahr führt das Sozialunternehmen Lemonaid einen festen Betrag aus dem Verkauf seiner Produkte an den gemeinnützigen Verein “Lemonaid & ChariTea e.V.“ ab. So kamen seit der Gründung schon 7 Millionen für Sozialprojekte im Globalen Süden zusammen. Viel zu viel, meint das Finanzamt und wertet das Sponsoring nun als „verdeckte Gewinnausschüttung“. Eine existentielle Bedrohung für das Hamburger Unternehmen.
Als Gründer*in eines Sozialunternehmens bist Du einiges gewohnt. Da wären die unzähligen Erklärungsversuche dem Umfeld gegenüber, was Du eigentlich beruflich tust – und vor allem, warum. Die durchwachten Nächte, in denen Du nicht wusstest, wie Du Dein Vorhaben finanzierst – denn Social Startups wurden viele Jahre überhaupt nicht gefördert, und werden es auch aktuell nur zögerlich. Da wären die kreativen Lösungen und Workarounds, die Du und Dein Team leisten müsst, um Eurer Vision eine passende wirtschaftliche Form zu geben. Und nicht zuletzt die Zweifel Deines Umfelds an der Machbarkeit des Vorhabens, Dein generalverdächtiges Gutmenschentum, das viel zu häufig gehörte: „Gutes tun und Geld verdienen – das passt doch gar nicht zusammen!“.
System und Gesellschaft können mit Dir nicht viel anfangen. Das wird Dir als Gründer*in spätestens bei der Suche nach einer Rechtsform klar. Und dennoch: Die Hartnäckigen unter uns bleiben dem Konzept des Sozialunternehmertums treu. Sie suchen und finden Wege. Sie zeigen der Welt, wie man vegane Schokoladenriegel fair produziert, Eis aus Lupinen herstellt oder Solarkraftwerke in Container einbaut, um sie dann nach Afrika zu schiffen. Sie beweisen uns Tag für Tag, dass sich unternehmerisches Handeln und gesellschaftliche Verantwortung nicht ausschließen. Social Startups sind eigenständige Unternehmen, und doch eine Bewegung. Sie sind Vorbilder für eine neue Art zu Wirtschaften. Sie verdienen unseren Respekt, unsere Unterstützung und unseren Schutz.
Sozialer als der Staat erlaubt …
Umso absurder findet die deutschsprachige Social Entrepreneurship-Szene – und nicht nur diese – was dem etablierten und erfolgreichen Unternehmen Lemonaid gerade passiert. Lemonaid macht Getränke in Bioqualität und sponsert seit 2009 einen extra gegründeten Verein mit einem vorher festgelegten Umsatzanteil. Ab 2010 waren das 5 Cent pro Flasche. Der Verein unterstützt damit verschiedene Sozialprojekte in den Anbauländern ihrer Zutaten. Über 7 Millionen Euro sind laut Pressemitteilung bisher an den Verein geflossen. Das ist etwa das Fünfzehnfache, das seitens des Staats als Spende an Vereine oder Stiftungen vorgesehen ist.
Social Entrepreneurs sehen hier erst einmal kein Problem. Immerhin hat der Verein Lemonaid & ChariTea e.V. einen Geschäftsbericht, aus dem hervorgeht, wohin die Gelder gingen. Der Vorstand hat nicht plötzlich sehr teure S-Klassen, wahlweise Teslas, in der Garage. Und es müsste doch eine autonome unternehmerische Entscheidung sein, wie viel Gutes ein Unternehmen in der Welt tun möchte. Immerhin: Entscheidet sich ein Unternehmen, die Welt lieber ordentlich kaputt zu machen, sagt auch niemand etwas – vorausgesetzt, die Steuererklärung stimmt.
Leider sieht das Finanzamt Hamburg es ganz anders. Da Lemonaid alle Grenzen des Gewohnten sprengt, wird das Sponsoring als verdeckte Gewinnausschüttung gewertet. Mit dieser Einordnung kommen allein in den Jahren 2015-2017 Nachforderungen von 650.000 Euro zusammen. Das Geld aber ist längst investiert und hat auf der anderen Seite der Welt (hoffentlich) viel Gutes bewirkt. Bleibt das Finanzamt bei seiner Einschätzung, muss Lemonaid auch für die weiteren Jahre kräftig nachzahlen. Insgesamt etwa drei Millionen Euro, laut einer Rechnung von Gründer Paul Bethke. Für das Unternehmen Lemonaid wäre das höchstwahrscheinlich das Ende.
Walking the talk, Ampel!
Mit der Ampelkoalition sollte alles besser werden. Sie hat in ihrem Koalitionsvertrag nicht nur Unterstützung für Sozialunternehmen verankert, sondern auch festgehalten, dass die rechtlichen Rahmenbedingungen für gemeinwohlorientiertes Wirtschaften verbessert werden sollen. Auf politischer Seite ist also der Weg frei. Was der Politik nun bewusstwerden muss: Der Fall Lemonaid könnte das werden, woran sich die politischen Vertreter*innen messen lassen müssen. Eine passende Kampagne hierzu stiftet Lemonaid selbst: #amtlichwaskippen. Auf der Website können sich Interessierte für News rund um den Streit mit dem Finanzamt anmelden.
Und wenn alles Wehren umsonst ist? Ein persönlicher Gedanke
Seit drei Jahren lernbegleite ich Studierende. Ich versuche ihre Wertewelt, die sich in ganz verschiedenen Engagements ausdrückt, zu stützen. Und ich zeige ihnen, wie diese Werte auch beim Einstieg in das Berufsleben den Weg bestimmen dürfen. Davor habe ich jahrelang mit Schüler*innen an ihren eigenen sozialunternehmerischen Ideen gearbeitet. Und ich bin damit nicht die einzige: Viele Bildungsprojekte, Organisationen, Schulen, Hochschulen und Universitäten erkennen mittlerweile die Bedeutung von Social Entrepreneurship Education und Social Innovation Education.
Was passiert, wenn Menschen wie ich ihre Arbeit nicht mehr machen können, weil wir unsere Ansätze und Lehren im Licht der Tatsachen nicht mehr verantworten können? Wie groß ist der persönliche, volkswirtschaftliche, gesellschaftliche Schaden, wenn wir in Zukunft sagen müssen: „Vergesst es, unternehmerisches Handeln und Verantwortung für die Welt passen leider doch nicht zusammen. Weil Steuer.“?
Fazit oder tl;dr
Dass Lemonaid das Versprechen, einen festen Betrag des Umsatzes an einen gemeinnützigen Verein weiterzuleiten, über zehn Jahre eingehalten hat und dabei so erfolgreich wurde, darf den Hamburger*innen nicht zum Verhängnis werden.
Wenn nämlich Unternehmen wie Lemonaid ihre Arbeit aufgrund von behördlichen Anordnungen einstellen müssen, dann können wir es auch alle lassen und unsere restlichen Jahre auf diesem Planeten genießen. Frei nach dem Motto so vieler Nicht-Sozialunternehmen: Nach uns die Sintflut.