„Kein Sektor ist so stark mit der Gestaltung von Lebensräumen verwoben wie die Landwirtschaft. Ändert sie sich, ändern sich auch die ökologischen und sozialen Systeme, die darin beheimatet sind.“ (Agrar-Atlas 2019 der Heinrich-Böll-Stiftung)
Trotz dieser Relevanz scheinen wir als Verbraucher*innen immer mehr einen Bezug zur Produktion unserer Lebensmittel zu verlieren. Informieren können wir uns zwar mittlerweile über die Herkunftsländer der Produkte dank eines kleinen Aufklebers auf der Verpackung. Jedoch, Hand aufs Herz, reicht diese einzelne Information noch lange nicht aus, um guten Gewissens behaupten zu können, dass wir gesunde Lebensmittel kaufen, aus artgerechter Haltung und mit der Intention produziert, Gewässer, Vögel sowie Insekten zu schützen, ohne die der Erhalt unserer Agrarsysteme nicht möglich ist.
Der Klimawandel ist keine Illusion
Diese sind ohnehin schon durch die intensive Bewirtschaftung unserer Ackerflächen gefährdet, sodass ihre Artenvielfalt zunehmend darunter leiden muss. Darüber hinaus hat der letzte Dürresommer uns mehr als deutlich gezeigt, dass der Klimawandel längst keine Illusion mehr ist. Trotzdem hören wir nicht auf über unsere planetaren Grenzen hinaus zu wirtschaften.
Oftmals wird behauptet, dass wir Verbraucher*innen beim Einkauf an der Supermarktkasse selbst zu Entscheidungsträger*innen der Agrarpolitik und -wirtschaft werden (Nachfrage=Angebot). Leider aber nicht über die Produktionsprozesse, die über die Qualität unserer Lebensmittel entscheiden, bevor diese uns letztendlich an der Ladentheke erreichen. Ohne eine transparente Kennzeichnung der Produkte bezüglich ihrer Haltung und ihrem Anbau, ist es somit Verbraucher*innen nicht möglich, faktenbasierte Entscheidungen bei ihrem Wocheneinkauf zu treffen.
Die Europäische Union verfügt durchaus über Mittel und Wege, um selbst einen aktiven Wandel in der Landwirtschaft zu gestalten: die Gemeinsame Agrarpolitik (GAP), die mit rund 60 Milliarden Euro im Jahr finanziert wird – pro EU-Bürger*in sind das umgerechnet rund 114€. Während aber von der politischen Seite aus oftmals demokratisch argumentiert wird, dass Verbraucher*innen nicht zu einem Wandel gezwungen werden können, ist es durchaus berechtigt die Frage zu stellen: Welche Wege können der Zivilgesellschaft geebnet werden, um unabhängig von der Politik und Wirtschaft, selbst einen Wandel voranzutreiben?
Was kann ich als Verbraucher*in tun?
Als Verbraucher*in ist es oftmals schwierig die richtigen Entscheidungen beim Wocheneinkauf zu treffen, vor allem, wenn es mal wieder schnell gehen muss: Nehme ich die verpackten Bio-Bananen oder die unverpackten Nicht-Bio-Bananen? Ist lokal wirklich immer besser? Foodmark z.B. möchten das in Zukunft ändern und entwickeln zurzeit fleißig eine App, die uns diesen Entscheidungsdruck nehmen soll. So soll es bald möglich sein auf einen Blick zu erkennen, welches Produkt ressourcenschonender ist und es wird einfacher sein den ökologischen Fußabdruck zu tracken.
Bei fairTEiLBAR in Münster hingegen, gibt es besondere Lebensmittel im Angebot: hier können Verbraucher*innen nämlich ausschließlich gerettete Lebensmittel zum „Zahl, was es dir wert ist“-Preis erwerben und sich aktiv gegen die immense Verschwendung an verschiedenen Stellen der Produktionskette einsetzen.
Selbst in der Landwirtschaft tätig werden
Wem es nicht reicht den Wandel an der gewöhnlichen Supermarkttheke voranzutreiben, dem*der eröffnet sich eine andere innovative Möglichkeit, viel direkter und trotzdem ganz nach dem Motto „back to the roots“, die Sache selbst in die Hand zu nehmen: Bei sogenannten SoLaWis (Soziale Landwirtschaften) werden nicht die Lebensmittel, sondern die Landwirtschaft durch eine Gemeinschaft an Verbraucher*innen finanziert. Diese tragen die Kosten eines landwirtschaftlichen Betriebs und erhalten im Gegenzug dessen Ernteertrag. Außerdem gibt es oftmals die Möglichkeit, die Bäuer*innen selbst bei der Arbeit auf dem Acker aktiv zu unterstützen.
Das Social Startup SpeiseGut z.B., das insgesamt 12ha innerhalb des Berliner Stadtgebiets bewirtschaftet, bietet Berliner*innen die Möglichkeit ihr eigenes Obst und Gemüse anzubauen und es gemeinsam zu ernten. Zudem können Baum- und Bienenpatenschaften übernommen werden, um den Erhalt der Artenvielfalt zu unterstützen. Wer Lust hat zunächst einmal nur SoLaWi-Luft zu schnuppern, kann auch eine einmonatige Probemitgliedschaft abschließen.
Lernen, woher unser Essen kommt
Verantwortung für unsere Landwirtschaft zu übernehmen bedarf jedoch auch Veränderungen im Bildungsbereich. Nicht nur Erwachsene, aber auch Kinder und Jugendliche sollten wir über die Herkunft der Mahlzeiten auf ihren Tellern aufklären. Wie können wir sonst nachhaltig etwas verändern, wenn wir nicht bereits bei unseren nachfolgenden Generationen ansetzen?
2017 hat deshalb das Meinungsforschungsinstitut forsa im Auftrag des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) rund 1.000 Bundesbürger*innen ab 14 Jahren zu ihren Ess- und Einkaufsgewohnheiten befragt. Unabhängig davon, wie informiert oder bewusst sich die Menschen über Ernährung, Ess- und Einkaufsgewohnheiten sind, so wünschen sie sich doch mehr Aufklärung zum Thema. So sind z.B. neun von zehn Befragten der Meinung, dass Kinder in der Schule die Grundlagen guter Ernährung erlernen sollten.
Die Theorie in die Praxis umsetzen
Das Startup GemüseAckerdemie leistet bereits einen großen Anteil etwas daran zu ändern: Hier lernen Kinder wo Lebensmittel herkommen, wie diese angebaut werden und den bewussteren Umgang mit ihnen kennen. Das Angebot richtet sich an Schulen, Kitas und andere Bildungseinrichtungen im Kinder- und Jugendbereich.
Restlos Glücklich wollen vor allem für eine erschreckende Tatsache Aufmerksamkeit schaffen: allein in Deutschland werden jährlich mehr als 11 Tonnen Lebensmittel weggeworfen. Diese entsprechen z.B. entweder nicht der Norm, oder haben ihr Mindesthaltbarkeitsdatum (MHD) überschritten. Sie möchten Menschen dazu bewegen, bewusster zu konsumieren und mehr zu verwerten. In Kochkursen, Workshops und Bildungsprojekten für Kinder und Erwachsene wird kreativ mit überschüssigen Lebensmitteln gekocht und mehr Wertschätzung für unsere wertvolle Nahrung vermittelt.
Mit Essen soll man zwar nicht spielen, aber mit dem Natur-Memo „Essbare Wildpflanzen“ können Kinder trotzdem effektiv und spielerisch etwas über die Gewächse aus ihrem regionalen Umfeld lernen, beispielsweise welche Wildpflanzen essbar, und welche zu vermeiden sind. Zusätzliche Informationen, einfache Rezepte und Pflanzensamen für Balkon und Garten bekommt man ebenfalls dazu. So kann die Theorie direkt in die Praxis umgesetzt werden.
Autorin: Sarah Günther
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