Viele Menschen kennen das beklemmende Gefühl, wenn sie abends alleine nach Hause laufen: Der Schlüssel wird zwischen die Finger geklemmt, der Blick schweift immer wieder über die Schulter, das Handy ist griffbereit – einfach zur Sicherheit.
Das subjektive Unsicherheitsgefühl ist keine Einbildung. Laut einer aktuellen Befragung aus Baden-Württemberg (Januar 2025) fühlen sich 54,5 Prozent der Befragten nachts allein im öffentlichen Nahverkehr unsicher – ein Wert, der sich mit der bundesweiten SKiD-Studie von 2020 (53,7 Prozent) deckt. Besonders betroffen: Frauen* sowie queere, behinderte und ältere Menschen und viele weitere, die im öffentlichen Raum regelmäßig Diskriminierung oder Belästigung erfahren (Quelle).
Ein smarter Ring für mehr Sicherheit – das ist SAYA
Genau hier setzt das Düsseldorfer Start-up „SAYA“ an. Das Unternehmen entwickelt mit ihrem tragbaren SOS-Ring eine smarte Lösung, um Menschen in Gefahrensituationen schnelle und unkomplizierte Hilfe zu ermöglichen. Dabei geht es nicht nur um reine Alarmfunktionen, sondern um eine Sensibilisierung der Gesellschaft.
Wir haben mit David über die Idee hinter SAYA, technische Herausforderungen und gesellschaftliche Verantwortung gesprochen.
Wie entstand die Idee zu SAYA?
„Die Idee entstand aus einem ganz konkreten Erlebnis in der Düsseldorfer Altstadt“, erzählt David. „Wir waren abends als Paar mit Freundinnen unterwegs, und es kam zu mehreren unangenehmen Situationen – die Frauen wurden immer wieder blöd angemacht. Wie sprachen darüber, wie oft solche Situationen vorkommen und wie unsicher man sich dabei fühlt. Alle waren sich einig: Das ist leider Alltag – vor allem für Frauen*, aber auch für viele andere Menschen. Das war der Moment, in dem wir dachten: Es müsste doch etwas geben, das genau da unterstützt.“
Wie funktioniert eure Lösung konkret?
„Von Anfang an war uns klar: Wenn wir etwas entwickeln, dann nicht nur etwas, das funktioniert – sondern auch etwas, das man im Alltag wirklich gerne trägt. Deshalb haben wir im Vorfeld viele Gespräche geführt, Umfragen gemacht und mit potenziellen Nutzer:innen gesprochen. Unser Ziel war ein Produkt, das wirklich zu den Bedürfnissen der Menschen passt – technisch, funktional und auch vom Look her. Drei Dinge waren uns dabei besonders wichtig:
- Design & Lifestyle: Viele bestehende Produkte wurden bei den Befragungen als zu technisch oder schlicht unattraktiv empfunden. Schnell war klar: Wir wollen kein typisches Sicherheitsprodukt, sondern ein Schmuckstück mit Funktion.
- Schnelle, einfache Handhabung: In einem Notfall zählt jede Sekunde. Niemand hat dann Zeit, erst das Handy aus der Tasche zu holen, zu entsperren und die richtige App zu öffnen. Der Ring lässt sich schnell und mit nur einer Hand auslösen – das funktioniert in den meisten Situationen, sogar dann, wenn eine Hand festgehalten wird.
- Doppelter Schutz: SAYA kombiniert einen circa 110 dB lauten Alarm mit der Standortübertragung an hinterlegte Kontakte – aber nur im Ernstfall, um die Privatsphäre zu schützen.
Technisch basiert der SAYA-Ring auf einer stromsparenden Bluetooth-Verbindung. Die verbaute Elektronik ist ebenfalls stromsparend, wodurch der integrierte Akku bis zu zehn Tage hält. Aufgeladen wird der Ring kabellos über ein kompaktes Ladecase, die im Notfall zusätzlich einen lauten Alarm abgibt. Der Alarm wird über einen Taster in der Ringschiene ausgelöst, der Fehlauslösungen verhindert und gleichzeitig bei Nässe zuverlässig funktioniert. Die zugehörige App ist kostenlos, individuell konfigurierbar und lässt sich auch ohne Ring nutzen.“
Wie kamt ihr auf den Namen SAYA?
„Wir hatten anfangs eine ganze Reihe von Namensideen und haben diese auch gemeinsam mit unserer Zielgruppe getestet. Am Ende hat sich SAYA klar durchgesetzt – nicht nur weil es kurz und einprägsam ist, sondern auch wegen der Bedeutung: ‚Safe As You Are‘. Genau das ist auch die Botschaft, die wir mitgeben wollen – du sollst dich sicher fühlen, so wie du bist.
Ursprünglich hießen wir ‚Click N Safe‘, aber das klang für viele zu technisch, sperrig und ein bisschen nach Software. Wir wollten einen Namen, der emotionaler ist, besser im Alltag funktioniert und sich ganz natürlich ins Gespräch einfügt. ‚Hast du deinen SAYA-Ring dabei?‘ klingt eben viel runder.“
Wie verlief eure Gründung?
„Die Gründung von SAYA entstand im Rahmen des Gründerstipendiums NRW, das uns zwölf Monate lang gefördert hat – mit der Auflage, nach spätestens sechs Monaten offiziell zu gründen. Für mich kam das direkt nach dem Studium, also zu einem Zeitpunkt mit vielen offenen Fragen: Wo startet man? Wie kommt man an einen Prototyp? Was kostet das? Und wie finanziert man die ersten Schritte?“, erzählt David.
„Gerade im Hardwarebereich ist der Aufwand groß – man braucht nicht nur eine gute Idee, sondern auch einen soliden Plan und Kapital. Die größte Herausforderung war daher, den Businessplan realistisch aufzubauen und die Finanzierung so aufzustellen, dass wir mit der Entwicklung überhaupt loslegen konnten. Zum Glück hatte ich Menschen an meiner Seite, die bereits gegründet hatten. Sie haben mir geholfen, die wichtigsten Entscheidungen zu treffen und in schwierigen Phasen dranzubleiben – fachlich, aber auch mental.“
Gab es unerwartete Hürden oder Widerstände?
„Die größte Hürde lag klar in der technischen Umsetzung. Ein voll funktionsfähiges Sicherheitssystem in einem kleinen, stylischen Ring unterzubringen, war enorm anspruchsvoll – vor allem, weil bei einem Produkt wie unserem kein Raum für Fehler ist. Wir können nicht mit einer Testversion an den Markt gehen, die nur „meistens“ funktioniert – Sicherheit erfordert 100%ige Zuverlässigkeit“, so David.
„Besonders herausfordernd war die Entwicklung des Tasters: Er darf nicht zu leicht und nicht zu schwer zu bedienen sein – auch unter Stress oder bei nassen Händen. Allein diese Komponente hat uns über 1,5 Jahre gekostet. Gleichzeitig muss der Ring robust, wassergeschützt und unauffällig bleiben. Finanziell hatten wir das Glück, viele engagierte Partner: innen zu finden, die an die Idee geglaubt haben. Dank Fördermitteln und Preisgeldern konnten wir die Entwicklung über längere Zeit hinweg stemmen – ohne auf klassische Investor: innen angewiesen zu sein.“
Wo steht SAYA heute?
Ende 2024 präsentierte das Team die ersten funktionierenden Prototypen. „Die Grundfunktionen – Alarm, App-Verbindung und kabelloses Laden – laufen stabil. Derzeit arbeiten wir an der finalen Optimierung, denn bei einem Sicherheitsprodukt wie SAYA muss am Ende alles zuverlässig funktionieren“, sagt David.
Die SAYA-App ist bereits voll nutzbar, auch unabhängig vom Ring. „Nutzer: innen können Notfallkontakte hinterlegen, Alarme auslösen und dabei automatisch den Standort übermitteln. Zusätzlich bietet die App hilfreiche Funktionen wie einen „Fake Call“, der in unangenehmen Situationen wie ein echter Anruf wirkt, sowie eine Übersicht wichtiger Anlaufstellen“, erzählt David. „Wir freuen uns darauf, bald die ersten Ringe auszuliefern – es gibt bereits Vorbestellungen.“
Wie finanziert ihr euch?
„Aktuell sind wir unabhängig von Investor: innen. Wir haben zwar bereits einige Gespräche geführt – und zu unserer Freude war auch das Interesse groß – aber uns war es wichtig, so lange wie möglich mit Bootstrapping voranzukommen“, erzählt David.
„Zum Glück konnten wir uns im Laufe der Zeit einige Förderungen sichern und bei Wettbewerben wie beispielsweise dem Accelerator Programm auch Preisgelder gewinnen. Diese Mittel haben es uns ermöglicht, die aufwendige technische Entwicklung der Hard- und Software zu finanzieren, ohne sofort Anteile abgeben zu müssen. Für den nächsten Schritt – etwa die Serienproduktion und den Markteintritt – schließen wir weitere Finanzierungsoptionen nicht aus. Aber bis hierher haben wir es geschafft, ohne Investoren – und das macht uns auch ein bisschen stolz.“
Was sind eure langfristigen Ziele?
„Unser Ziel ist es, möglichst vielen Menschen ein besseres Sicherheitsgefühl zu geben – besonders in Momenten, in denen man sich allein oder unwohl fühlt. Dabei ist uns wichtig: SAYA richtet sich an alle, unabhängig von Geschlecht, Alter oder Hintergrund. Denn das Bedürfnis nach Sicherheit betrifft viele – auch wenn es oft nicht offen ausgesprochen wird.
Wir wollen SAYA kontinuierlich weiterentwickeln – technisch, funktional und inhaltlich. Langfristig möchten wir auch die Community stärker einbinden, etwa durch eine freiwillige Funktion, mit der man sich im Notfall gegenseitig unterstützen kann. Zudem sollen praktische Inhalte wie Tipps zur Selbstverteidigung oder Erste-Hilfe-Hinweise in die App integriert werden – kurz, verständlich und alltagstauglich.“
Was muss sich aus eurer Sicht in der Gesellschaft ändern?
„Das Thema Sicherheit – insbesondere für Frauen – wird heute sichtbarer und offener diskutiert. Das ist wichtig und längst überfällig. Trotzdem wird das Ausmaß noch immer unterschätzt oder als Ausnahme dargestellt, obwohl für viele Menschen Unsicherheit im Alltag bittere Realität ist“, sagt David.
„Was sich ändern muss, ist vor allem die gesellschaftliche Haltung. Noch immer wird Betroffenen die Verantwortung zugeschoben – etwa mit Sätzen wie ‚Zieh dich halt anders an‘. Dabei braucht es mehr Bewusstsein und weniger Schuldzuweisung. Ein wichtiger Beitrag ist frühe Aufklärung durch Bildung und Erziehung. Kinder sollten früh lernen, was Grenzen sind und wie man sie respektiert – zu Hause und in der Schule. Projekte wie ‚Catcalls of…‚ zeigen, wie wirkungsvoll Sichtbarkeit sein kann. Mit Kreide schreiben sie belästigende Sprüche öffentlich auf den Boden – genau dort, wo sie gesagt wurden – und machen damit Alltagssexismus sichtbar.
Uns ist klar: SAYA ist nicht die Lösung des Problems. Gewalt, Belästigung und Unsicherheit lassen sich nicht durch ein Produkt beheben. Aber wir haben erkannt, wie groß der Bedarf ist – und möchten mit SAYA ein Produkt anbieten, das im entscheidenden Moment unterstützen kann. Jede Person, die sich durch SAYA sicherer fühlt, selbstbewusster auftritt – und womöglich sogar einen Übergriff vermeiden konnte – ist für uns ein großer Erfolg. Dann hat sich die ganze Arbeit gelohnt.“
Technologie als Hilfe – aber nicht die Lösung des eigentlichen Problems
SAYA ist ein vielversprechendes Beispiel dafür, wie Start-ups Technologie nutzen können, um gesellschaftliche Probleme anzugehen. Der Ring ist nicht die Antwort auf strukturelle Probleme wie Sexismus oder Gewalt – denn sie behandeln letztlich nur die Symptome eines viel tiefer liegenden Problems: Gewalt und Unsicherheit im öffentlichen Raum sind strukturelle Probleme, die nicht nur durch Schutzmaßnahmen gelöst werden können – gerade Gewalt an Frauen*, älteren Personen und Menschen mit Behinderung. Langfristig müssen gesellschaftliche Strukturen verändert, Täter sensibilisiert und Aufklärungsarbeit geleistet werden, damit solche Schutzmaßnahmen hoffentlich irgendwann nicht mehr notwendig sind. Bis dahin können innovative Lösungen wie SAYA Menschen helfen, sich sicherer zu fühlen – und vielleicht auch langfristig dazu beitragen, ein größeres Bewusstsein für das Thema zu schaffen.