Gesellschaft und Wirtschaft sind im ständigen Wandel. Exponentiell. Und die Bildung ist aus der Vergangenheit. Toll. Was sich ändern muss.
Es ist ein sonniger Tag, 18 Uhr. Auf meinem Smartphone ploppt ein Eintrag zu einer Veranstaltung zum Thema nachhaltige, sozial-gerechte und digitale Bildung in Deutschland auf.
Digitale Bildung in Deutschland. Bildung der Zukunft. Ein Thema, welches auch schon vor der Corona-Krise oft genug diskutiert, aber irgendwie noch zu wenig beachtet wurde. Die Gesellschaft verändert sich dynamisch, disruptive Unternehmen verändern unsere Lebensweise oder kurz: Das Leben ist keine Linie und schon gar nicht vorhersehbar. Aufgrund dieser immer dynamischeren Veränderungen unserer Gesellschaft gelingt es dem aktuellen Bildungssystem oft nicht, Lernende angemessen auf die Zukunft vorzubereiten.
Das derzeitige Bildungssystem vermittelt nicht die Fähigkeiten, die jeder von uns in den nächsten Jahrzehnten zwingend benötigen wird. Mein Gedankenstrudel beginnt und ich suche nach Beispielen.
Das Bildungssystem in Deutschland hat Lücken
Mit dem Thema Finanzbildung und Rente ist schnell das Erste gefunden. Es gibt zu wenige Beitragszahler und zu hohe Belastungen für den Bundeshaushalt (erst recht nach Corona) – immer wieder weisen Experten auf die Probleme der gesetzlichen Rentenversicherung hin. Daher wird überlegt, die Rente sogar erst ab 70 Jahren auszuzahlen. Das Rentenniveau in Deutschland wird bis bis 2034 deutlich sinken. Armut droht. Das ist ein großes gesellschaftlichen Problem, auf welches wir zusteuern. In der Schule könnte man schon dagegen wirken. Beispielsweise durch intelligenten Finanzunterricht, der den Lernenden beibringt, später einmal selbst für sich vorsorgen. Je früher man nämlich beispielsweise mit dem intelligenten Sparen anfängt, umso effektiver. Zinseszins-Effekt und so. Klingt einfach. Wäre es auch. Eigentlich.
Ungefähr 453.000 deutschsprachige Sekundarschüler*innen leiden unter Armut und haben zeitgleich Probleme in der Schule. Über 800 Millionen Euro geben Eltern übrigens alleine für Nachhilfe aus. Auch hier sollte man mal über Ursachen nachdenken.
Okay, ein letztes Beispiel: Digitalisierung. In immer größerer Geschwindigkeit ändern sich Lebensbereiche im Privaten wie im Beruflichen. Um diesen komplexen und dynamischen Wandel erfolgreich meistern zu können, sollte man sich vielleicht einmal die Frage stellen, ob wir “Lernen und Bildung” nicht grundsätzlich überdenken sollten. Müssen wir alle wirklich alle Dinge bis ins Detail lernen, die eine Maschine sowieso schneller und fehlerfreier errechnen, verarbeiten oder prozessieren kann? Okay, provokativ, ich weiß.
Von der Tatsache, dass die deutsche Bildungsinfrastruktur so gar nicht auf den Digitalisierungstreiber Corona vorbereitet war, möchte ich jetzt gar nicht erst anfangen.
Bulimie-Lernen muss der Vergangenheit angehören
Ist Schule nicht eigentlich auch dafür da, den Schülerinnen und Schülern zu helfen, ihre Stärken herauszufinden? Worin sie gut sind? Viele ehemalige Klassenkameraden wussten nach dem Abgang aus der Schule überhaupt nicht, wo ihre individuellen Stärken waren und in welche Richtung sie sich entwickeln sollten. Dinge wie Teamwork, Problemlösungsorientierung, Kommunikationsfähigkeiten oder Konfliktlösungsstrategien, immer wichtiger werdende Soft Skills, wurden in meiner Schulzeit nicht gelehrt.
Vielleicht noch eine provokante Fragestellung: Wie sollen Lehrkräfte, die von Digitalisierung und digitalen Möglichkeiten keine Ahnung haben, Schüler*innen auf die Zukunft vorbereiten?
Ich selbst musste früher den Lernstoff regelrecht in mich “hineinfressen”. Verstanden habe ich so einiges nicht. Hat auch nichts gemacht. Während bei uns Bulimie-Lernen stattfindet, ist das chinesische Bildungssystem bereits ab dem Kindergarten digitalisiert. Von China können wir, zumindest in dem Bereich Bildungsförderung, vielleicht was lernen.
Das Bildungssystem muss zukunftsfähig werden
Ziel sollte es doch sein, allen Menschen im Sinne des lebenslangen Lernens eine gerechte und zukunftsfähige Bildung zu ermöglichen. Bildungsinitiativen könnten hier unterstützen. Nicht zuletzt hat die Corona-Pandemie gezeigt, dass genau diese einen großen Mehrwert leisten, wenn es darum geht, Bildung zukunftsfähig zu gestalten. So begleitet beispielsweise Serlo Education monatlich über eine Millionen Schüler*innen beim Lernen während der Krise.
Bildungsinitiativen sind vielfältig, professionell, transparent und kooperativ. Und sie orientieren sich nicht selten am OECD Lernkompass 2030, Education for Sustainable Development for 2030 und dem Hagener Manifest für New Learning. Gute Voraussetzungen.
Rahmenbedingungen bremsen innovative Bildungsinitiativen aus
Doch die Initiativen finden keinen guten Anschluss an das Bildungssystem. Gründe dafür sind unklare Zuständigkeiten, Finanzierungsprobleme, Bürokratie und fehlende bundesweite Vernetzung. Auch fehlt eine verlässliche Datenlage oder benötigte Freiräume.
Welche Lösungen gibt es?
Das Social Entrepreneurship Netzwerk Deutschland (SEND) hat in einem Positionspapier Vorschläge gemacht, um eine Bildung für das 21. Jahrhundert zu ermöglichen.
So schlägt SEND beispielsweise vor, ein Zentrum auf Bundesebene einzurichten, die als Schnittstelle zwischen institutionalisierten Bildungseinrichtungen, den Bildungsinitiativen und den Ländern fungiert. Als Orientierung aus der wirtschaftlichen Innovation kann z.B. der Bundesverband dt. Innovations-, Technologie- und Gründerzentren (BVIZ) dienen. Anders als der unabhängige BVIZ soll das Zentrum Innovative Bildung eine staatliche Einrichtung und dem Bildungsauftrag von Bund und Ländern verpflichtet sein.
Neben mehr Freiräumen für Lernende und Lehrende, sticht auch wieder in Thema direkt ins Auge: das Thema Daten. Beim Thema Digitalisierung ist Deutschland nicht unbedingt in der Spitzenklasse zu verorten. Gerade hier gibt es aber sehr viel Potential. Um das Thema voran zu bringen, brauchen wir die Aufbereitung von bildungsrelevanten Themen wie beispielsweise zu Lernstandserhebungen und Lernformaten. SEND schlägt weiter die Umsetzung einer Open-Source-Plattform vor.
Die Plattform Jedeschule.de macht schon jetzt beispielhaft bestehende Daten von ca. 30.000 Schulen verfügbar. Worauf warten wir also eigentlich?
Wir brauchen dringend mehr praxisorientiertes Lernen, neue Fächer und mehr Individualität.
Und während meine Gedanken weiter um das Thema digitale Bildung der Zukunft kreisen, reißt mich die Stimme meiner Freundin aus dem Gedankenstrudel. “Kommst du?”. Ja, entgegne ich. Stimmt, wir wollen das schöne Wetter ausnutzen und spazieren gehen. Ich überlege noch einmal: Ist wirklich alles schlecht? Nein, überhaupt nicht. Und es gibt natürlich auch regionale Unterschiede. Um aber zukunftsfähig zu bleiben, müssen wir einige Dinge ändern. Voller Erwartung bestätigte ich noch schnell die Anmeldung zu der Podiumsdiskussion von SEND zum Thema “Wie gelingt nachhaltige, sozial-gerechte und digitale Bildung in Deutschland?” und lege mein Smartphone weg. Feierabend.
Ein Kommentar
Passend dazu unsere Veranstaltung diesen Donnerstag: https://www.eventbrite.de/e/politiktalks-wegebereiten-tickets-158747111885