On Purpose weitet sein Social Entrepreneurship (SE) Ausbildungsprogramm von Großbritannien nach Kontinentaleuropa aus. Doch lässt sich das Training für werdende SE Experten auch eins zu eins auf Deutschland übertragen? Eine Begegnung mit Julian Müller-Schwefe, der als Entrepreneur in Residence gerade das Programm in Berlin hochzieht.
Es herrscht strahlend blauer Himmel über der noch verschlafenen Münchner City und der Frühstücksraum im Anna Hotel ist von bienenfleißigen Touristen übersät. Julian Müller-Schwefe navigiert seinen Rollkoffer gutgelaunt zwischen der Armada an Bistrotischen hindurch und wirkt gewappnet für ein kleines Duell über Geschäftsmodelle, Wirkungsketten und die Skalierung sozialunternehmerischer Ideen in andere Kulturen. Wir suchen uns ein ruhiges Eckchen mit Barocksofa und Grüntee. Ich bin gespannt. Vor einigen Wochen hatte ich ein langes Interview mit Tom Rippin über das SE-Ausbildungsprogramm in Großbritannien, das er dort seit 5 Jahren als CEO und Gründer von On Purpose unternimmt. Bei Julian ist der Funke auf dem Vision Summit übergesprungen, wie er freimütig gesteht. In einem Workshop von Anna Roth-Bunting von Talents4Good ging es um das Thema der Talentlücke im deutschen Sozialunternehmer Sektor und Julian hob den Finger, um auf das Programm in Großbritannien hinzuweisen. Er hatte es im Rahmen seiner Masterarbeit in London kennengelernt und Ähnliches in seiner Heimat vermisst. Die Idee war schnell geboren. Doch in Deutschland wird es keine Copycat Version geben – eine einheitliche europäische Marke soll her. Tom in England zeigte sich schnell offen für die deutsche Initiative, zumal er Berlin als möglichen Standort bereits auf dem Radarschirm hatte. Anfang Juli 2015 geht On Purpose jetzt in Berlin an den Start.
Julian, welche gesellschaftliche Wirkung habt Ihr Euch mit On Purpose vorgenommen?
Uns ist klar, dass die sozialen und ökologischen Zustände in unserer Gesellschaft keine 200 Jahre mehr so weitergehen können. Das wirtschaftliche und soziale Handeln muss sich enger verzahnen. Doch dafür werden Nachwuchsführungskräfte benötigt, die beide Welten miteinander verbinden können. Unser Beitrag ist ein spezielles Ausbildungsprogramm, das diesen Machern der Zukunft die passenden Werkzeuge mit an die Hand gibt. Unser Impact besteht aber auch darin, Menschen zu erreichen, deren Standardkarrieren sonst mit Social Entrepreneurship nicht in Berührung kommen würden. Es gibt bereits viele Talente im SE Sektor. Uns liegt vor allem am Herzen, dass diese Bewegung insgesamt viel größer wird.
Mein Eindruck war, dass Euer Programm in Großbritannien eher auf die Ausbildung der mittleren Führungsebene setzt statt auf das Training von Gründern. Ist das für Deutschland analog geplant?
Ja. Es gibt in der noch relativ kleinen Nische des Social Entrepreneurship schon Einiges an Unterstützung für Gründer in Form von Preisen, Programmen und finanziellen Zuwendungen. Es ist uns wichtig, eher Experten für diejenigen Sozialunternehmen auszubilden, die wachsen und in andere Märkte skalieren wollen. Das ist unser eigentlicher Fokus.
Wie sieht Euer Programm genau aus?
Das Programm dauert insgesamt ein Jahr und soll in Deutschland erstmals im Februar 2016 starten. Die Teilnehmer arbeiten 4,5 Tage pro Woche für die Dauer von je 6 Monaten bei zwei Partnerorganisationen. Das sind entweder Sozialunternehmen oder aber klassische Unternehmen mit Aktivitäten, die deutlich über die übliche Corporate Social Responsibility hinausgehen. Es können auch Stiftungen, Wohlfahrtsverbände oder ähnliche Organisationen sein, die einen Teilbereich oder ein Projekt mit sozialunternehmerischen Mitteln entwickeln oder ausgründen wollen. Darüber hinaus bieten wir den Teilnehmern dann an jedem Freitagnachmittag 4 Stunden Training in den Themen Leadership, Professional/Personal Development sowie Social Sector Knowhow an. Die dritte Ausbildungskomponente ist das Mentoring. Jeder Absolvent bekommt einen persönlichen Mentor sowie einen Coach zur Seite gestellt, mit denen er sich alle zwei Wochen trifft. Sie beraten ihn zu seinem beruflichen Weg und nehmen zu seiner praktischen Arbeit in der Partnerorganisation unter die Fittiche. So soll für die Organisation in der begrenzten Zeit von 6 Monaten möglichst viel Sinn und Mehrwert entstehen.
In Großbritannien gibt es das Programm seit 5 Jahren. Worin genau liegt dieser Mehrwert und welche Wirkung habt Ihr bislang erzielt?
Im Bereich der Kapazitätsbildung ist es gar nicht so leicht, den Impact zu messen. Wir hatten ursprünglich zwei Ansatzpunkte. Der erste und direkteste ist die Befragung der Partnerorganisationen. Wir interviewen sie, wie viel ihnen die Arbeit der Teilnehmer wert war und vergleichen auch, was ein Teilnehmer gekostet hat und wie viel ein vergleichbarer Mitarbeiter mit ähnlichem Beitrag in der Organisation verdient hätte. Daraus ergibt sich der kreierte Mehrwert. Das ist natürlich eine subjektive Einschätzung unserer Partnerorganisationen. Eine weitere direkte Messgröße ist, wie viele der Partnerorganisationen unser Programm überhaupt weiterempfehlen würden. Dahingehend liegen wir derzeit bei 100%. Viel spannender ist aber die langfristige Wirkung. Wir wollen ja Menschen finden und ausbilden, die an einem dauerhaften Wechsel in den sozialunternehmerischen Sektor interessiert sind. Deshalb haben wir uns letztes Jahr daran gemacht, eine belastbarere Theory of Change und eine methodischere Vorgehensweise zur Wirkungsmessung zu entwickeln. Diese funktioniert zum Beispiel über Kontrollgruppen aus Bewerbern, die nicht in unser Programm aufgenommen wurden. Die spannende Frage für uns ist, wo unsere Teilnehmer im Vergleich zu dieser Gruppe beruflich landen werden und welchen Impact ihre Arbeit dann haben wird. Momentan sind 83% unserer Alumni im Social Entrepreneurship Bereich tätig. Für konkrete, längerfristige Ergebnisse ist es aber angesichts der 5 Jahre seit Gründung noch zu früh.
Die Motivation für die Partnerorganisationen besteht also darin, über das Programm für je 6 Monate an qualifizierte und günstige Fachkräfte zu kommen. Werden diese Kandidaten denn später auch übernommen?
Das ist eines unserer Ziele. Bisher sind etwa ein Drittel der Teilnehmer von den Partnerorganisationen dauerhaft rekrutiert worden.
Wer bezahlt für das Programm und wie funktioniert Euer Geschäftsmodell?
Die Organisationen übernehmen das Gehalt der Teilnehmer, das in der Regel deutlich unter ihrem früheren Einkommensniveau liegt. Man könnte es als eine Art Stipendium während des Ausbildungsprogramms bezeichnen. Darüber hinaus bekommt On Purpose von den Partnerorganisationen ein einmaliges Programmteilnahme-Entgelt sowie eine Transfergebühr, falls es zu der Übernahme eines Teilnehmers kommt. Es ist wichtig hervorzuheben, dass unser Modell nicht ohne die ehrenamtlichen Mentoren und Trainer funktionieren könnte. Nur so sind wir in der Lage, uns bei im Schnitt 20 Teilnehmern pro Jahrgang nachhaltig zu finanzieren. Für den Start in einem neuen Land ist diese Zahl jedoch eher unrealistisch. In Deutschland wünschen wir uns für den ersten Jahrgang etwa 10 Teilnehmer.
Habt Ihr diese Zahl denn nicht über Euren Auswahlprozess selbst mit in der Hand?
Sicher, aber die Qualität des Programms ist uns sehr wichtig. Wir haben ein dreistufiges, ziemlich anspruchsvolles Auswahlverfahren entwickelt. Wenn wir von den Erfahrungen in England ausgehen, kommen da nur etwa 10% der Bewerber erfolgreich hindurch. Lebenslauf, Anschreiben und ein eigenes Video-Portrait sind der Anfang, dann kommt ein Fallbeispiel dazu, das wir online mit den Kandidaten durchgehen, und schließlich gibt es das klassische Bewerbungsgespräch sowie eine weitere Case Study. Für uns kommt es vor allem darauf an, dass die Kandidaten in ihrem Berufsleben schon etwas auf die Beine gestellt haben, dass sie zielstrebig und ehrgeizig sind und in diesem sensiblen Zwischenbereich zwischen sozialem und wirtschaftlichem Kosmos die richtige Sprache finden.
Und das Engagement für Social Entrepreneurship?
Das ist natürlich zentral. Deshalb ist es auch Vorbedingung für die Teilnahme am Programm, dass die Kandidaten ihre bisherigen Jobs kündigen. So stellen wir sicher, dass sie wirklich ernsthaft bei der Sache sind. Auch das niedrigere Gehalt, das unsere Partnerorganisationen zahlen, wirkt wie eine Art Selektion und filtert diejenigen Bewerber heraus, die die nötige Motivation mitbringen.
Der deutsche Social Entrepreneurship Sektor ist weniger weit entwickelt als der britische und hat seine kulturellen Eigenheiten. Habt Ihr die Kriterien für das hiesige Programm anpassen müssen?
Nein, wir setzen für alle Länder mindestens zwei Jahre an Vollzeit-Berufserfahrung voraus. Allerdings haben die Teilnehmer in England mittlerweile 5 bis 7 Jahre Praxiszeit hinter sich. Ich gebe zu, wir lassen uns in Deutschland auch ein wenig überraschen, wer sich für das Programm bewerben wird. Auf jeden Fall wollen wir sowohl solche Menschen anzusprechen, die bereits mit dem SE Sektor vertraut sind, als auch die Nicht-Konvertierten aus der klassischen Wirtschaft abholen, die mit einem Wechsel in den Social Entrepreneurship Bereich schwanger gehen. Die Ausschreibung wird voraussichtlich im Juli 2015 starten. Ich persönlich gehe davon aus, dass die Altersstruktur im Vergleich zu Großbritannien höher ausfallen wird, da die deutschen Universitätsabgänger mit Master-Abschluss in der Regel älter sind.
Wie steht es mit Berufstätigen um die vierzig, die ihre erste Karriere hinter sich haben und sich von dem SE-Sektor angezogen fühlen?
Dieser Gruppe stehen wir absolut offen gegenüber. Allerdings ist unser derzeitiges Programm vielleicht nicht ganz ideal dafür, da diese Kandidaten deutlich mehr Praxiserfahrung mitbringen. Zu einem späteren Zeitpunkt werden wir aber sicher darüber nachdenken, ein spezielles „Executive On Purpose“-Programm zu starten, um diese spannende und für den SE Bereich wichtige Gruppe zu adressieren. Für den Beginn konzentrieren wir uns aber erst einmal auf die deutlich weniger berufserfahrenen Bewerber.
Wie ist Euer Verhältnis zu On Purpose UK ausgestaltet? Seid Ihr ein eigenständiges Social Franchise oder eine Tochtergesellschaft?
Wir haben verschiedene Optionen durchgespielt und uns entschieden, zunächst als 100%ige Tochtergesellschaft zu starten. Das beinhaltet die Perspektive, unseren Standort in Berlin möglicher Weise zu einem späteren Zeitpunkt in ein Social Franchise oder einen Lizenznehmer umzuwandeln.
Werdet Ihr die inhaltlichen Programmschwerpunkte für Deutschland kulturell- und/oder marktbedingt verändern?
Nein. Da wir On Purpose gerne als eine einheitliche Marke etablieren wollen, wird das Programm im Wesentlichen so wie in Großbritannien ablaufen. Das trifft vor allem auf den Selektionsprozess und die fachlichen Ausbildungselemente zu.
Gibt es nicht bestimmte Präferenzen der deutschen Partnerorganisationen, die Ihr berücksichtigen müsst?
In der Tat erleben wir in unseren Gesprächen mit Partnerorganisationen oft, dass sie konkrete Vorstellungen in Bezug auf die Skills der Programmteilnehmer äußern. Unser Fokus ist es aber, die Skalierung des SE-Markts insgesamt voranzutreiben und dementsprechend gut ausgebildete Generalisten mit Arbeitserfahrung bereitzustellen. Unser Ziel sind nicht die projektspezifischen Spezialisten.
Wie genau geschieht das Matching zwischen Programmteilnehmern und Partnerorganisationen?
Der Prozess funktioniert im Wesentlichen über ein gegenseitiges Kennenlernen – ähnlich wie bei einem Speed Dating. Jede Seite schreibt im Anschluss ihre Präferenzen auf und wir versuchen dann, sie möglichst passgenau zusammen zu bringen. Bisher bekommen wir Interesse von einer großen Bandbreite an Partnern signalisiert: von Social Enterprises mit 2 Mitarbeitern bis hin zu großen, multinationalen Organisationen.
Machen wir einen kurzen Zeitsprung: Wir befinden uns im Februar 2017 und der erste Ausbildungsjahrgang von On Purpose Deutschland ist abgeschlossen. Was wünschst Du Dir als Ergebnis?
Am wichtigsten wäre mir, dass sowohl die Teilnehmer als auch die Partnerorganisationen am Ende mit dem Gefühl herauskommen, dass das Programm sie deutlich weitergebracht hat. Es wäre schön, wenn unser Bekanntheitsgrad dann höher wäre und wir mit tollen neuen Kandidaten und Organisationen unsere Mission weiterverfolgen können.
Ein Kommentar
Mehr Informationen finden Sie unter der angegebenen Homepage und auf Facebook: http://on.fb.me/1TkPkqv.
Ab sofort sucht On Purpose Bewerber für den ersten Associates Jahrgang für das Leadership Programm in Deutschland. Weitere Informationen finden Sie unter diesem Link: http://bit.ly/1Uvkugc .